Wie konnte ich nur bis heute überleben? Spätdiagnostik Ü 50

  • Zitat von Rhianonn

    Ein vorteil, KEINE Diagnose zu haben, war, dass ich mich buchstäblich alles getraut und mich nicht selbst eingeschränkt habe. Der Nachtteil war, permanent am Erschöpfungs- Limit zu leben , voller Selbstzweifel und ständiger Anstrengung.

    Das ist bei mir ähnlich. Und ich erlebe es aktuell als Nachteil. Ich glaube, dass ich mich seit der Diagnose zu stark einschränke, was bei mir zusätzlich noch von der Therapeutin in der Autismustherapie verstärkt wird. Es kommt mir so vor, als würde mir einfach gar nichts mehr zugetraut und das frustriert mich extrem.
    Hilfreich finde ich auch, dass ich seit der Diagnose schon viel besser auf mein Energielevel achte und darauf, ob ich mich zu sehr an andere anpasse.
    Ich würde aber beides gerne noch besser verzahnen und mich wieder mehr trauen, aber dabei gleicihzeitig auf meine Bedürfnisse achten. Momentan ist es eher so, dass ich mich komplett schone und das tut mir nicht gut.

    Ich bin aber erst Mitte 30. Ich glaube, der Mechanismus ist bei mir aber ähnlich. Icih würde mich auch als Spätdiagnostizierte bezeichnen.

  • Habe die Diagnose ja auch erst spät bekommen, aber sie hilft mir jetzt manches einfach besser ein zu ordnen. Vieles was für mich früher unverständlich war ist jetzt verständlich für mich. Ich weiß jetzt
    wie ich ticke und so war die Diagnose auch eine Erleichterung für mich.

  • Ich bin Jahrgang 65 und habe die Diagnose mit 53 Jahren bekommen.

    Und auch "nur", weil ich Leukämie bekam, stammzellentransplantiert wurde und die Vorbereitungen darauf inkl. Ganzkörperbestrahlung mich über kurz oder lang all meiner kognitiven Kontrollmechanismen beraubt hat.

    Als ich jung war gab es keinen Autismus, sondern nur Konsequenzen. Intelligenz half zur Mustererkennung mit anschliessender Konsequenzvermeidung.

    Aber spezifische Problemstellungen gab es natürlich immer schon. Nicht-Telefonieren, Massenphobie etc... quasi "die Klassiker".

  • ... ich gehöre auch schon zu den etwas älteren Jahrgängen und habe zwar noch keine Diagnose, aber mir schon Gedanken darüber macht, was es geändert hätte, wenn eine Diagnostik schon als Kind in Betracht gezogen worden wäre.

    Wie hier schon geschrieben wurde, glaube ich auch, dass eine frühere Diagnostik dazu geführt hätte, dass ich weniger Mut und Härte gegen mich selbst gehabt hätte, um schwierige Ziele zu erreichen. Auch weiß ich nicht, ob ein medizinisches Label nicht auch die Erwartungen meiner Umwelt negativ geformt hätte, was wiederum mich beeinträchtigt hätte.

    Andererseits hätte es mir schon geholfen, wenn jemand meine Eigenheiten erkannt, akzeptiert und mich in meinen Stärken bestärkt hätte. Dafür wäre gar keine medizinische Diagnose nötig gewesen. Nur ein bisschen Unterstützung und Bestärkung, statt Mobbing, Abwertung und Anpassungsdruck. Dann hätte ich nicht Jahrzehnte mit dem verzweifelten Versuch zugebracht, meine Schwächen auszubügeln und meine damit verbundene Verzweiflung, Erschöpfung und Scham zu verbergen. Ich hätte stattdessen mehr in meine Stärken investiert, meine Spezialinteressen erkannt und ausgebaut, auch beruflich. Ich hätte weniger gegen mich und meine Natur gearbeitet und mehr mit mir. Diese Erkenntnis macht mich momentan ziemlich traurig. Aber ich will nach vorne schauen und meine Zukunft besser gestalten als meine Vergangenheit.

  • Ich finde es heftig, wie sich manche Frauen jahrzehntelang durchs Leben "mogeln" können, bereits eigene Kinder haben und erst durch deren Diagnose darauf kommen, sie können selbst auch autistisch sein und sich der Verdacht in einigen Fällen auch noch bestätigt.

    Bitte meine Aussage nicht falsch verstehen. Ich bin im positiven Sinne erstaunt, nicht im Sinne von "Diese Frauen können nicht autistisch sein". Mir ist aber auch durchaus bewusst, dass der "Preis" für diese beachtliche Leistung ziemlich hoch sein kann, z.B. in Form von chronischen Erschöpfungszuständen, schweren Depressionen, Angststörungen, Essstörungen usw.

  • Und auch "nur", weil ich Leukämie bekam, stammzellentransplantiert wurde und die Vorbereitungen darauf inkl. Ganzkörperbestrahlung mich über kurz oder lang all meiner kognitiven Kontrollmechanismen beraubt hat.

    Als ich jung war gab es keinen Autismus, sondern nur Konsequenzen. Intelligenz half zur Mustererkennung mit anschliessender Konsequenzvermeidung.

    Hallo Quinn,

    ich wollte hier eigentlich nur lesen.

    Dein post hat mich sehr getroffen.

    Erstens, weil Du wirklich, wirklich Sch... hinter Dir hast (AML?), und vermutlich auch Glück gehabt mit dem Spender.
    Ich wünschte, die KMSD ließe mich, aber ich darf /durfte nicht.

    Zweitens, weil der Weg zur Diagnose, wenn auch mit viel weniger Lebensgefahr, bei mir ähnlich war.
    Manchmal dekompensiert man erst durch die Summe mehrerer Überforderungen.

    Bei mir war es auch - nach meinen Maßstäben - ziemlich übler gesundheitlicher Mist, der dazu führte, dass ich körperlich und geistig die Interessen nicht mehr ausüben kann, die mich vorher "zusammen gehalten" haben.

    Dein "Als ich jung war... gab es nur Konsequenzen" haut mich (43) fast um.

    Ich war "ein schwieriges Kind".
    Lähmung und doch Schreinen? Der Kinderarzt empfahl eiskaltes Wasser. Oder härtere Maßnahmen. "Den Willen brechen".

    "Du gibst Dir ja noch nicht mal Mühe, andere zu verstehen!"
    "Warum kannst Du nicht ein Mal lächeln wie andere Kinder?", und meine Mutter quetschte mein Gesicht, bis ich wusste, wie sie es wollte.
    Ja, Konsequenzen.

    Wenn ich eines gelernt habe, dann rational zu kompensieren.
    Sich möglichst "normal" bewegen. "Normal" gucken. "Normal" spielen, zumindest, wenn die Kinder von den Freunden meiner Eltern da sind.

    Ich weiß nicht, was meine Eltern gedacht haben, dass mit mir los ist.
    Ich weiß, dass sie sich geschämt haben, ein spastisches Kind zu haben und nicht noch mehr "Fehler" wollten.
    Ich weiß, dass sie nichts wollten, was "auffällt".
    Ich durfte stundenlang unter Büschen und Bäumen liegen und den Blättern zugucken (das haben sie sogar gegen die Lehrer in der Schule verteidigt, ich sei halt "verträumt").
    Ich durfte Sand rinnen lassen, Erbsen rinnen lassen, Erde rinnen lassen, Reis rinnen lassen, Knöpfe rinnen lassen, Murmeln rinnen lassen (als seine Kugellager und Schrauben verschwanden, hat mein Vater mich aus dem Keller verbannt) - still und unsichtbar.
    Das Kind ist halt verträumt.

    Ich habe eine Freundin, seit der 5. Klasse (sie wurde gemobbt, da haben wir uns angefreundet) und eine Brieffreundin.
    Nie einen Partner. Finde keinen Kontakt zu Kollegen.
    Es ist, als hätten sie eine zusätzliche Schnittstelle.
    Und ich habe die nicht, und muss mich aktiv erinnern, dass es die gibt, und trotzdem passiert ständig Mist.
    Ich mache es - "Gedanken-los" - genau falsch und merke es erst Stunden später.

    Ich hatte schon immer ein so starkes Bedürfnis nach Ruhe und Alleinsein, dass soziale Aktivitäten keinen Platz haben.
    Darum bin ich einsam.
    Es müsste irgendwie mehr Zeit sein. Paradox.

    Da war immer die Frage "Was ist falsch mit mir? Warum passiert das, warum passt das alles nicht?".

    Trotzdem: Die Diagnose kann vermutlich nur (wenn überhaupt) mir selbst etwas bringen.
    Ich hätte rückblickend Dinge anders gemacht, wenn ich mehr darauf gehört hätte, was zu mir passt.
    Aber dazu braucht man keine Diagnose.
    Dazu braucht man Selbstvertrauen, und das eben habe ich nicht gelernt.

    Ich beneide definitiv die Frauen, die die Diagnose früh erhalten.
    Es ist für mich ein Zeichen, dass sie sich früh mit der Frage ihrer Individualität beschäftigen.
    Sie haben noch Zeit, einen Weg für sich zu finden.

  • Ich beneide definitiv die Frauen, die die Diagnose früh erhalten.
    Es ist für mich ein Zeichen, dass sie sich früh mit der Frage ihrer Individualität beschäftigen.
    Sie haben noch Zeit, einen Weg für sich zu finden.

    den kann man auch noch später finden.

  • Hallo Kpax,

    erstmal: toller Film! Auch wenn ich mir über das Ende unklar bin. War er nun ein Ausserirdischer oder nicht?

    Deine Geschichte ist furchtbar. Und ich kann Dir nur wünschen dass die Vergangenheit vergangen ist.

    Ich hatte erstaunlicherweise immer Partner. Auch wenn das natürlich dann meist nicht gut gegangen ist. Aber das ist auch bei NTs der Fall.

    Jetzt erst mit über 50 hab ich meinen jetzigen Partner kennen gelernt. Und das auch nur übers Internet, weil er als einziger mein veröffentlichtes Profilbild genauso witzig und stimmig fand wie ich.
    Ich zeigs Euch mal, was haltet Ihr davon. Ich finde es immer noch total witzig und stimmig:


    In Bayern sagt man oft "wayne", was bedeutet "Wen interessierts?" Verstanden?

    Auf jeden Fall will ich damit sagen: Es gibt Hoffnung und es gibt Chancen.
    Ansonsten geht es mir wie Dir: Ich bevorzuge eher kein soziales Umfeld. Aber ich habe immer noch meine Freundin aus der Schulzeit.

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