Sensorische Überempfindlichkeit = ASS-Diagnosekriterium?

  • Hallo miteinander,

    im Forum liest man oft von den Folgen sensorischer Überempfindlichkeit, nämlich Erschöpfung, Schlafstörungen, Overloads, Shutdowns.

    Ich kenne diese sensorische Überreizung leider selbst zu gut, erlebe sie nahezu täglich. Für mich ist dies das eigentliche Problem. Überreizung insbesondere durch soziale Interaktionen, aber auch durch Hintergrundgeräusche, Veränderungen, einfach zuviel Input pro Tag.

    In den Diagnosekriterien für eine Autismus-Spektrum-Störung kommen diese sensorischen Probleme jedoch gar nicht vor, oder? Irgendwie ist das irritierend.
    Wurde bei Eurer Diagnostik darauf eingegangen, oder wird das Thema der sensorischen Überreizung dabei ignoriert?

    Würde mich sehr freuen, wenn ihr dazu Ideen habt.

    LG

  • Sind im DSM-5 aufgenommen in der Kategorie, in die auch repetitive Verhaltensweisen, SIs, Routinen, Stereotypien fallen.

    Da die ICD-10 "überholt" ist, wird auch z.T. das DSM-5 zur Diagnostik herangezogen.

    "Auf der Metaebene lässt sich Abstand gewinnen zum Geschehen. [...] Und dabei zeigt sich, dass es andere Perspektiven, andere Erlebensweisen und viel mehr Möglichkeiten für Lösungen gibt, als sich der Mensch in seiner alten kleinen Welt hatte träumen lassen." (Brit Wilczek)

  • 2013 wurden Overloads als offizielles Diagnosekriterium in das amerikanische DSM-5 eingeführt. Finden kannst du sie dort als „Hyper- or hyporeactivity to sensory input or unusual interests in sensory aspects of the environment“.

    Hier steht noch mehr (auf englisch):
    https://www.verywellhealth.com/sensory-integr…d-autism-260509

    Da Autismus und vor allem Asperger Autismus erst seit relativ kurzer Zeit Gegenstand intensiverer Forschung ist, hat es wohl so lange gedauert, bis sie als „Symptom“ erkannt wurden, wohl auch, weil es bei manchen vielleicht eher weniger intensiv und somit „sichtbar“ ist als bei anderen.

    In der ICD-10 steht es tatsächlich noch nicht drin, dürfte aber vielleicht mit Erscheinen der ICD-11 ebenfalls eingeführt werden, da man hier oft dem DSM folgt. Das weiß ich aber nicht genau; müsste ich nochmal googeln. Steht bestimmt irgendwo.

    PS: Da war jemand ein bisschen schneller ^^

  • Das hier finde ich interessant:
    https://de.wikipedia.org/wiki/St%C3%B6r…ung?wprov=sfti1

    „Die Störung der Sinnesverarbeitung tritt häufig gleichzeitig mit einer Diagnose auf dem Autismusspektrum auf. Obwohl ein Problem mit sensorischen Reizen bei autistischen Kindern und Erwachsenen häufig auftritt, gibt es keine ausreichenden Belege dafür, dass sensorische Symptome Autismus von anderen Entwicklungsstörungen abgrenzt.“

    ...

    „In ICD-10 und DSM-5 ist die Störung nicht enthalten. Jedoch ist die ungewöhnliche Reaktion auf sensorischem Input und ein ungewöhnliches Interesse für sensorische Aspekte ein mögliches aber nicht notwendiges Kriterium für die Diagnose von Autismus.“

  • Ich bin zwar bzgl. Geräuschen, Gerüchen und Licht und Hunger hochempfindlich. Allerdings gegenüber Stimmungen, Schmerzen und Kälte und Durst unterempfindlich. Ich denke diese Kombination von über und unterempfindlichkeit ist recht typisch für Autismus und grenzt es u. a. von klassischer Hochsensibilität ab. Auch gegenüber Emotionen anderer Menschen bin ich nicht empfindlich. Das ist ein Vorteil klassischer Hochsensibilität, der nicht zu mir passt.

  • In meiner Diagnostik wurde darauf gar nicht eingegangen. Ich habe es aber auch von selbst nicht erwähnt, weil ich viel zu aufgeregt und durcheinander war

    Immer wenn mir jemand sagt ich wäre nicht gesellschaftsfähig, werfe ich einen Blick auf die Gesellschaft und bin sehr erleichtert...... :d

  • Hi,

    für mich ist die Überempfindlichkeit ein riesengroßes Problem, habe ich mich daher auch lange mit HSP befaßt.... trifft halt fast alles zu, bis auf eben, dass ich in einigen wenigen Sachen, das ganze Gegenteil von hochempfindlich bin :roll:

    Ich meine, daß in den hunderten von Fragen, die ich beantwortet habe, bevor ich überhaupt zu einem Diagnosegespräch in der Autisten Ambulanz geladen wurde, auf die Sensorik auch eingegangen wird.
    Inwieweit im Einzelnen müßt ich jetzt wirklich nachlesen, aber andere hier werden das sicherlich besser wissen als ich :nod:

    Liebe Grüße

  • Frau Wilczek hat das 2011 in meinem Gutachten genaustens beschrieben, ich glaube sie hat dann irgendwie den Hinweis geschrieben, dass das nicht in den Diagnosekriterien steht, aber die Praxis zeigt, dass das regelmäßig vorkommt und auch zum Erscheinungsbild Autismus dazugehört.

  • Vielen Dank für Eure informativen Beiträge.

    Was ich an mir auch kenne, ist die Reizunterempfindlichkeit einerseits und eine starke Lärmempfindlichkeit unter bestimmten Umständen andererseits. Deshalb habe ich mich ebenfalls mit HSP nicht vollständig identifizieren können.

    Vielleicht hat man die Reizempfindlichkeit deshalb noch nicht in die deutschen Diagnosekriterien aufgenommen, weil man diese schlecht objektivieren kann.

  • Sind im DSM-5 aufgenommen in der Kategorie, in die auch repetitive Verhaltensweisen, SIs, Routinen, Stereotypien fallen.

    Unter B4 findet sich "Hyper- oder Hyporeaktivität auf sensorische Reize"

    B) Eingeschränkte, repetitive Verhaltensmuster, Interessen oder Aktivitäten, die sich in mindestens zwei der folgenden aktuell oder in der Vergangenheit erfüllten Merkmalen manifestieren:

    1. Stereotype oder repetitive motorische Bewegungsabläufe; stereotyper oder repetitiver Gebrauch von Objekten oder Sprache (z. B. Echolalie, Aufreihen von Spielzeug, Hin- und Herbewegen von Objekten, idiosynkratrischer Sprachgebrauch)
    2. Festhalten an Gleichbleibendem, unflexibles Festhalten an Routinen oder an ritualisierten Mustern (z. B. extremes Unbehagen bei kleinen Veränderungen, Schwierigkeiten bei Übergängen, rigide Denkmuster oder Begrüßungsrituale, Bedürfnis, täglich den gleichen Weg zu gehen)
    3. Hochgradig begrenzte, fixierte Interessen, die in ihrer Intensität oder ihrem Inhalt abnorm sind (z. B. starke Bindung an oder Beschäftigen mit ungewöhnlichen Objekten, extrem umschriebene oder perseverierende Interessen)
    4. Hyper- oder Hyporeaktivität auf sensorische Reize oder ungewöhnliches Interesse an Umweltreizen (z. B. scheinbare Gleichgültigkeit gegenüber Schmerz oder Temperatur, ablehnende Reaktion auf spezifische Geräusche oder Oberflächen, exzessives Beriechen oder Berühren von Objekten)

    Ich kenne diese sensorische Überreizung leider selbst zu gut, erlebe sie nahezu täglich. Für mich ist dies das eigentliche Problem. Überreizung insbesondere durch soziale Interaktionen, aber auch durch Hintergrundgeräusche, Veränderungen, einfach zuviel Input pro Tag.

    In den Diagnosekriterien für eine Autismus-Spektrum-Störung kommen diese sensorischen Probleme jedoch gar nicht vor, oder? Irgendwie ist das irritierend.

    Allerdings dürften nur die Hintergrundgeräusche als "Hyper- oder Hyporeaktivität auf sensorische Reize" im Sinne von B4 gelten.
    Bei Überforderung durch soziale Interaktion, Veränderungen oder zu viel Input sind es ja nicht im engeren Sinne sensorische Reize, die das auslösen.

    Trotzdem ist es für die Diagnostik relevant, dass du das subjektiv als Überforderung wahrnimmst, denn dann ist es "klinisch bedeutsames Leiden":

    D) Die Symptome müssen klinisch bedeutsames Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen.


    Entsprechende Regelungen gibt es auch in DSM IV und ICD 10.

    Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll. (Georg Christoph Lichtenberg)
    Veränderungen führen deutlich öfter zu Einsichten, als dass Einsichten zu Veränderungen führen. (Milton H. Erickson)
    Morgen werde ich mich ändern, gestern wollte ich es heute schon. (Christine Busta)

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