• Ich möchte meinen, dass es auch aus psychiatrischer Sicht sinnvoll ist, den Autismus als Beschreibung der (bei zutreffender Autismusdiagnose, natürlich nicht bei Fehldiagnose) zugrundeliegenden Persönlichkeitsstruktur zu berücksichtigen.Eine Depression, Sucht, Traumafolgestörungen o.ä. therapeutisch zu behandeln dürfte wenig erfolgversprechend sein, wenn man den Autismus ignoriert

    Der Meinung bin ich auch. Wenn es einem sinnvoll erscheint, kann sie natürlich verwendet werden. Meine Ärztin nutzte für manche Problembeschreibungen bei mir die Formulierung "vor dem Hintergrund eines Asperger-Syndroms". Das fand ich recht elegant.

    Ich sehe das insgesamt wohl recht pragmatisch. Wenn Autismus nicht mehr als Erklärungsmodell für die Probleme taugt, ist das aus meiner Sicht vollkommen okay und muss nicht mehr genutzt werden. Das ist aber natürlich schweriger, wenn eine über das Krankheitsbild hinausgehende Identifikation mit Autismus vorhanden ist.

    Ich halte es tatsächlich für sehr unwahrscheinlich, dass bei zutreffendem (!), aber gut kompensiertem Autismus und einer zusätzlichen psychischen Erkrankung der Autismus nicht mehr in Erscheinung tritt.

    Das ist auch eine interessante Definition.

    dass es auch so kommtn kann, dass man die Diagnose nicht mehr bekommt, obwohl man sie früher mal hatte. Ist denke ich aber eher selten.

    Ich denke auch, dass das relativ selten ist, zumal es für gewöhnlich ja auch keinen Grund gibt, sich erneut in die Diagnostik zu begeben. In manchen Einrichtungen scheint aber eine erneute Diagnostik verlangt zu werden, bevor man dort an Therapien oder Studien teilnehmen darf und da ist es dann wohl auch nicht ganz unüblich, dass die Diagnose nicht bestätigt werden kann. Ob die vorige Diagnose dann wirklich falsch war oder die Kriterien anders ausgelegt werden oder sie nur nicht mehr erfüllt werden, ist dann unklar.

    Ich glaube, dass das gepflegte Erscheinungsbild oft in psychiaterischen Diagnosen verwendet wird. Es spricht natürlich weder für noch gegen Autismus, kann aber ein Indiz für bestimmte Probleme im Leben sein, wenn es eben sehr ungepflegt ist.

    In den Diagnosen steht es bei mir nicht, aber solche Formulierungen, darunter auch exakt die von @Sonnenseele genannte "ausreichend gepflegt" gab es bei mir in allen Arztberichten, z.B. im Entlassungsbericht aus der Tagesklinik. Bei meinen Mitpatienten auch.

  • was ich mich manchmal frage, also heute versucht man autistische Züge ja möglichst früh zu erkennen. Ich bin 51, die Diagnose für AS gibt es erst seit den 90ern und ich selber weiss erst seit etwa 5 Jahren was AS ist und bin nicht diagnostiziert. Im großen und ganzen komm ich gut klar , hoch und tiefs gibt es natürlich.
    Ich frage mich , wäre es besser als Kind eine Diagnose erhalten zu haben, oder profitiere ich eher davon das ich mich ohne das wissen hab durchkämpfen müssen? Hab mich immer für einen Sonderling gehalten und meine Umwelt hat mich darin meistens bestätigt.
    Ich hab aber ganz gut gelernt mich anzupassen, stark zu sein. zumindest nach außen hin.
    Hat mich das alleine zurecht kommen jetzt gestärkt oder eher mehr verkorkst?
    Wenn ich früher eine Diagnose gehabt hätte , wäre das besser oder wäre ich dann eher schwächer und würde weniger gut zurecht kommen?
    Wohl eine frage ohne Antwort :-p

  • Also ich kann nur sagen, ich hab mich nach der Diagnose auch durchgekämpft bis zum mehrfach Burnout. Und wofür ich mich durchgekämpft habe, waren eigentlich nur Dinge, die ich auch unbedingt tun wollte. Ist vielleicht auch ein bisschen Charaktersache, ob man nach der Diagnose dasteht und sagt ich kann das nicht, weil Autismus und das dann als Begründung benutzt, gar nicht erst zu versuchen zu einem ich kann das zu kommen, wobei das Menschen mit und ohne ASS machen.
    Man stelle sich vor ein Kleinkind sagt ich kann nicht laufen, weil ich ein Kleinkind bin und benutzt das als Argument es nicht zu erlernen. :lol:

  • Ich denke, hätte ich in den Neunzigern bereits eine Diagnose gehabt, hätte ich weder weiter gearbeitet, noch hätte ich eine Partnerschaft gehabt.
    Also alles gut.
    Daß ich jetzt weiß was mit mir los ist, hilft mich vor weiteren Schäden zu schützen.
    Also erstmal alles gut, es ist wie es ist.

  • Ich denke, hätte ich in den Neunzigern bereits eine Diagnose gehabt, hätte ich weder weiter gearbeitet, noch hätte ich eine Partnerschaft gehabt.
    Also alles gut.
    Daß ich jetzt weiß was mit mir los ist, hilft mich vor weiteren Schäden zu schützen.
    Also erstmal alles gut, es ist wie es ist.

    ja ich denke so ähnlich sehe ich das auch, wenn ich das früher gewusst hätte, hätte ich es vielleicht als Ausrede benutzt und längst aufgegeben

  • Ich frage mich , wäre es besser als Kind eine Diagnose erhalten zu haben, oder profitiere ich eher davon das ich mich ohne das wissen hab durchkämpfen müssen? Hab mich immer für einen Sonderling gehalten und meine Umwelt hat mich darin meistens bestätigt.
    Ich hab aber ganz gut gelernt mich anzupassen, stark zu sein.

    Wie geht es dir denn gegenwärtig?

    Ich frage mich, ob ein Schlüssel (RW) unabhängig von einer Diagnose und einem Diagnosezeitpunkt sein könnte, dass ein Kind lernt, dass es sein darf, wie es ist. Das es okay ist, anders, divers, besonders, verrückt, sonderbar - oder wie auch immer man es nennen mag - zu sein. Dass das Kind sich trotzdem oder gerade deshalb als geliebt erfährt.

    Und dass dies auch für Erwachsene gilt. Immer mal wieder begegne ich Fachpersonen, die kritisieren, dass Autismus zu leichtfertig diagnostiziert werde in der gegenwärtigen Zeit. Dass die Autismusdiagnose so attraktiv sei, weil sie bedeute man müsse sich nicht ändern, sondern die Umwelt passe eben nicht (und diese müsse verändert werden). Ich überlege mir immer mal wieder - und dabei möchte ich die Frage nach den berechtigten bzw. unberechtigten Autismusdiagnosen außen vor lassen - ob nicht viele Menschen Erleichterung empfänden, wenn sie vollkommen unabhängig von einer Diagnose erfahren würden, dass sie okay sind so wie sie sind. Dass sie so sein dürfen wie sie sind. Dass sie sich nicht verändern müssen damit andere sie "gut finden" oder auch nur akzeptieren.

    Surprised by the joy of life.

  • Das es okay ist, anders, divers, besonders, verrückt, sonderbar - oder wie auch immer man es nennen mag - zu sein. Dass das Kind sich trotzdem oder gerade deshalb als geliebt erfährt.

    Ich bin tatsächlich so aufgewachsen. Meine Familie ist der 6er im Lotto und gerade deswegen bin ich überzeugt, dass Akzeptanz zu erfahren von Kind auf notwendig ist, dass diese merkwürdige Kategorisierung in einem Spielwarengeschäft (Mädchen Abteilung Jungen Abteilung und man achte auf die Farben...) absolut unnötig ist, ein Kind hat mehr Spass in Mathe an der Schule, wenn es davor schon spielerisch die Grundlagen erlernt hat, ob das jetzt Mädchen oder Junge ist, diese Einschränkungen zum Teil auch für was man sich in welchem Alter interessieren darf und sollte, was man lernen darf, oder nicht, hindert ein Kind daran seine Neugierde auszuleben und zu dem Zeitpunkt wo es will zu lernen ohne es zu müssen.

    Auf jeden Fall hat mein Umfeld, das mich so nahm, wie ich war an den Hindernissen, die mir Autismus ab und an stellt, nichts geändert.

  • Wie geht es dir denn gegenwärtig?

    Naja zur Zeit mache ich eine etwas schwierigere Phase durch weil ich jemandem vertraut habe und enttäuscht wurde

    ob nicht viele Menschen Erleichterung empfänden, wenn sie vollkommen unabhängig von einer Diagnose erfahren würden, dass sie okay sind so wie sie sind. Dass sie so sein dürfen wie sie sind. Dass sie sich nicht verändern müssen damit andere sie "gut finden" oder auch nur akzeptieren.

    Da gebe ich dir recht, grundsätzlich sollten doch alle ob AS oder NT oder was auch immer so sein können wie sie sind.
    eigentlich bin ich bis jetzt auch gut damit zurechtgekommen. Wenn mich jemand nicht so nimmt wie ich bin dann soll er es halt lassen. Im Moment fällt mir das halt etwas schwerer, weil aber das wird wieder.
    Eine Diagnose habe ich nicht , und ich bin auch nicht sicher ob ich eine will, da da ich mich auch nicht der Einfachheit halber
    dahinter verstecken will. man muss sich hauptsächlich erst einmal selber akzeptieren

  • Meine Familie ist der 6er im Lotto

    Auf jeden Fall hat mein Umfeld, das mich so nahm, wie ich war an den Hindernissen, die mir Autismus ab und an stellt, nichts geändert.

    Und wie geht es dir im Jahr 2021? Also mir ist schon klar, dass mein Nachfragen nie zu einer Repräsentativität führen wird, dennoch interessiert mich, ob meine Hypothese stimmt und Menschen mit "guten" Kindheitserfahrungen von Angenommensein usw. auch im Erwachsenenalter stabiler sind und ob es ihnen weniger wichtig ist, ob ihr So-Sein nun Autismus heißt oder nicht.

    Im Moment fällt mir das halt etwas schwerer, weil aber das wird wieder.

    Weil - Da fehlt die Begründung. ;) Aber die geht mich eigentlich auch nichts an. Hat das mit dem Enttäuschtwerden zu tun?

    man muss sich hauptsächlich erst einmal selber akzeptieren

    Das denke ich auch.

    Surprised by the joy of life.

  • Weil - Da fehlt die Begründung.

    Das "Weil" ist wohl da irgendwie rein gerutscht ;) aber ja das hat etwas mit der Enttäuschung zu tun die mir auch einen der heftigsten Overloads/Meltdowns seit einer Ewigkeit beschert hat. Aber durch sowas muss man eben durch.

  • @Surprised Wie geht es mir im Bezug auf was genau? Ich habe kaum Gefühle gegenüber dem ausgenommen sein, anders sein, oder wie auch immer. Ich mache mir darüber eigentlich gar nie Gedanken auf jeden Fall nicht im Sinne von ich fühle mich ausgeschlossen. Tatsächlich war damals Asperger-Syndrom schon drei Jahre vor der diagnostischen Abklärung Thema und ich sagte fast Wort wörtlich; Es ist egal was es ist, ich will nur lernen, wie ich damit umgehen kann, was für Strategien ich mir erarbeiten kann. Ich brauche keinen Namen, ich will nur regelmässig in die Schule gehen können. Dass ich dann doch den Weg der Diagnose gewählt habe, ist weil ich mehrerer komplette Zusammenbrüche und Burnouts hatte (im Nachhinein betrachtet hatte ich mein erstes Burnout vermutlich mit 12) und mir endlich mal begründet eine Pause gönnen wollte, was ohne Unterstützung, vor allem finanzieller Art, nicht möglich war.

  • Also mir ist schon klar, dass mein Nachfragen nie zu einer Repräsentativität führen wird, dennoch interessiert mich, ob meine Hypothese stimmt und Menschen mit "guten" Kindheitserfahrungen von Angenommensein usw. auch im Erwachsenenalter stabiler sind und ob es ihnen weniger wichtig ist, ob ihr So-Sein nun Autismus heißt oder nicht.

    Also ich hab erst als Erwachsene die Diagnose bekommen und für mich persönlich war es eine unvorstellbare große Erleichterung. All der Selbsthass aufgrund des Unwissens, warum ich anders bin, ich nicht so sein kann wie alle anderen, fiel ab. Aber die Diagnose als "Ausrede" verwenden tue ich nicht. Im Gegenteil, mir fehlt weiterhin der Mut zum Andersein, meine Bedürfnisse zu äußern und dazu auch zu stehen.
    Meine Kindheit? Ich bin in einem wohlbehüteten mittelbürgerlichem Elternhaus aufgewachsen, an sich eine glückliche Kindheit. Die Problem begannen, als ich so 9-10 Jahre alt war und ich merkte, dass da eine Kommunikation zw. den anderen Kindern passierte, die ich einfach nicht mitbekam. Und ich kaum Freunde hatte, obwohl ich doch welche haben wollte. Ich wusste halt nicht wie Freundschaften schließen konnte. Gerade als Teenager habe ich sehr darunter gelitten, war aber nicht depressiv daran erkrankt. Leichter Mutismus gegenüber Fremden vielleicht, und viel Schüchternheit. Die psychischen Erkrankungen wie Depression, Burnout, Angsterkrankungen fingen bei mir erst mit Eintritt ins Berufsleben an. Der Stress ist zu groß, ich kann nicht mit meinen Kollegen 'mithalten'.
    -> Keine Ahnung ob das jetzt gute Kindheitserfahrungen sind. Elternhaus ja, Schule nein, wenn auch nicht traumatisch.

  • dennoch interessiert mich, ob meine Hypothese stimmt und Menschen mit "guten" Kindheitserfahrungen von Angenommensein usw. auch im Erwachsenenalter stabiler sind

    Ich bin wohl so ein Fall, aber ich komme noch aus einer Zeit, wo Kinder lange nicht so unter Beobachtung standen wie heute: morgens Schule, nachmittags draußen, zum Abendessen riefen die Eltern die Namen ihrer Kinder aus dem Fenster. Irgendwo dazwischen gab es auch Hausaufgaben, aber Lernen für die Schule wurde nicht ganz so ernst betrieben wie heute. Und obwohl es für Fehlverhalten auch noch Ohrfeigen gab, ja ich glaube schon, dass ich angenommen war, trotz mancher Versuche, mich ein bisschen sportlicher zu machen.

    Ob ich deswegen nachher als Erwachsener stabiler als andere bin, weiß ich nicht. Meine Schwierigkeiten waren immer da, aber vielleicht habe ich eher die Fähigkeit, sie zu händeln. Ich habe auf jeden Fall die Fähigkeit, mir Nischen zu schaffen für mich allein, die mir als Rückzug dienen und wo ich auch zufrieden, glücklich sein kann.

    "Ich kämpfe nicht, ich behaupte mich." - "Ich will nicht siegen, ich will sein." (Georg Kaiser)

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