Ungewissheitsintoleranz (Buchempfehlung)

  • Ich lese aktuell ein Buch mit dem Titel "Ungewissheitsintoleranz und ihre psychischen Folgen". Eventuell ist das Buch auch für andere User interessant. In dem Buch werden auch Autismus-Spektrum-Störungen angesprochen.

    Der Autor thematisiert auch die gesellschaftlich veränderten Anforderungen innerhalb der letzten 30 Jahre und wie diese mit dem Thema Ungewissheitsintoleranz in Zusammenhang stehen könnten. So wird gesellschaftlich immer mehr eine Ungewissheitstoleranz gefordert (Stichwort prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Rückbau Wohlfahrtsstaat ,Multioptionsgesellschaft), die aber bestimmte Personengruppen nicht erbringen könnten. Dies könnte meiner Meinung nach z. B. auch dazu beigetragen haben, dass Autisten immer stärkere Probleme im Beruf und anderen Lebensbereichen bekommen und klinisch auffällig werden.

    Autismus-Spektrum-Störungen werden in Zusammenhang mit einer hohen Ungewissheitsinteoleranz gebracht.


    Ein Modell versucht diese typischen Symtpome der ASS durch eine geringe Ungewissheitstoleranz der Betroffenen verständlich zu machen. [...] Die eingeschränkten repetitiven Verhaltensmuster bei Autisten werden hier als Bemühungen angesehen, mit denen Betroffene (...) versuchen, ihr Leben wieder so vorhersehbar wie möglich zu gestalten - es stellt ihr zentrales Vergewisserungsverhalten dar.


    Besonders interessant und hochspannend fand ich dieses Zitat im Buch


    according to this view, RRB (Anm.: Festhalten an Routinen etc.) may be an epiphenomenon, a consequence of other cognitive processes, rather than a core feature of neurodevelopmental ASD phenotype itself.


    Man kann davon nun halten was man will (Diskussionen zur Entstehung von Autismus-Spektrum-Störungen werden hier im Forum ja recht kontrovers an verschiedenen Stellen geführt und ich habe dazu eine Meinung, die mit der verbreiteten Ansicht nicht konform geht).

    Aber durch die Beschäftigung mit dem Buch (ich bin noch dabei, es zu lesen) ist mir klar geworden, dass ich in dem Bereich ganz erhebliche (und diese Formulierung ist noch weit untertrieben) Probleme habe. Manche Aussagen in diesem Buch haben mir wirklich die Augen geöffnet. Es werden z. B. kognitive Grundüberzeugungen von Menschen vorgestellt, die eine hohe Ungewissheitsintoleranz haben. Die lauten dann so wie "Gewissheit ist absolut notwendig" oder "Ungewissheit ist gefährlich", "Ungewissheit macht mich handlungsunfähig", "Ungewissheit ist unfair". Das Ganze wird dann im Text hinterfragt. Ich fühlte mich ertappt. Denn auch ich bin im Prinzip leider überzeugt davon, dass Gewissheit absolut erforderlich sei. Ungewissheit lähmt mich und führt dazu, dass ich immer mehr Informationen sichte, aber doch zu keiner Entscheidung komme. Der Autor sagt ganz klar sowas wie, dass es nicht nur eine richtige Lösung oder Entscheidung gibt und Gewissheit eigentlich nicht zu erlangen ist. Das hat mir zu denken gegeben. Auch wenn ich es vorher schon häufiger gehört habe, aber nun leuchtet es mir irgendwie ein, während es vorher nur ein dahergesagter Spruch für mich war. Denn bisher bin ich trotz anderslautender Informationen dennoch so vorgegangen, dass ich nach dieser einzig richtigen Lösung suchte und auch eine sehr hohe Gewissheit anstrebte. Nun wird mir klar, dass ich vielleicht weniger leiden würde und weniger Probleme hätte, wenn ich mein Glaubenssystem 'einfach' so umstelle, dass ich nun 'weiß', dass es das gar nicht gibt, worauf ich mein ganzes Leben aufgebaut hatte. :|

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    Ich habe beispielsweise die Grundüberzeugung "alle Menschen müssen gerecht sein" und dachte, dass dies so auch korrekt ist, denn irgendwann programmierte ich (oder andere?) mir mal ein, dass Gerechtigkeit ein wichtiges Gut sei. Im Buch wird sehr eindrücklich ein Beispiel gebracht, wie sich eine Mitarbeiterin über das Verhalten ihres Chefs aufregt, der die Mitarbeiterin übergeht und in sehr ungerechter Weise eine andere Mitarbeiterin bevorteilt. Da die Mitarbeiterin in sich einprogrammiert hat, dass alle Menschen gerecht sein müssen, regt sie sich unheimlich über das Verhalten des Chefs auf, da dieses ja gegen den Grundsatz verstößt. Wenn man aber erkennt, dass der Grundsatz nicht so sinnvoll ist, kann man den Grundsatz hinterfragen und leidet weit weniger. :yawn:
    Es ist eigentlich beschämend, dass ich so etwas Einfaches bisher nicht verstanden habe bzw. es mit dem Kopf verstanden habe, aber trotzdem nicht umsetzen könnte. :oops: Warum auch immer habe ich es aber kapiert, nachdem ich angefangen habe, in diesem Buch zu lesen. Die Beispiele sind wirklich beeindruckend (auch wenn sie total simpel klingen).
    Es könnte also tatsächlich darum gehen, fehlerhafte Grundsätze neu zu programmieren. Vielleicht hängen Autisten zu sehr an diesen Grundsätzen, weil sie auch solche (elterlichen?) Anweisungen zu restriktiv bzw. wortwörtlich in sich aufnahmen? Dann könnte man jetzt umlernen (zumindest bei hochfunktionellen Autisten könnte es ein Versuch wert sein) und verstehen, dass diese Grundüberzeugungen damals fehlerhaft von einem selbst verstanden wurden und abzumildern sind.

    Ich möchte mich auf jeden Fall weiter mit dem Thema beschäftigen. Es werden auch Theorien aufgestellt, wieso es zu dieser hohen Ungewissheitsintoleranz bei manchen Menschen kommt. Auch das ist hochspannend. Das Thema wurde wohl in den 60er und 80er Jahren mal wissenschaftlich gestreift, aber führte lange ein Schattendasein. Ich glaube, dass das Thema unbedingt in den Fokus gerückt werden sollte, weil es wohl keine psychische Erkrankung / Behinderung gäbe, bei der die Betroffenen nicht eine sehr hohe Ungewissheitsintoleranz besäßen. Gerade bei den aktuellen gesellschaftlichen Umbrüchen wird es wohl eine hohe Relevanz erlangen, glaube ich.

    Vielleicht hilft es, durch die Beschäftigung mit dem Thema den Leidensdruck auch bei Autisten herabzusetzen? Falls jemand das Buch auch liest, bin ich an einem Austausch interessiert, wobei es mir etwas schwer fällt, die vielen gedanklichen Anstöße sortiert aufzulisten. Deshalb wollte ich erstmal einfach nur auf dieses Forschungsgebiet aufmerksam machen und hoffe, dass das Thema dadurch verbreitet wird und vielleicht anderen Betroffenen hilft.

    Einmal editiert, zuletzt von FruchtigBunt (11. Januar 2020 um 12:59)

  • Phu, schwieriges Thema.

    Für mich sehe ich das nicht als starj zutreffend. Habe allerdings einige Kontakte mit Menschen gehabt, die da ganz erhebliche Probleme mit hatten und regelrechte Angriffe erlebt auf meine eben genteilige Überzeugungen (die ich niemandem versucht habe aufzuzwingen).

    Bestimmte Ungewissheiten sind allerdings auch für mich Schwierig, wenn auch eher rational gesehen: Kann ich ein Gespräch vorher nicht abschätzen, dann kann ich keinen Text vorbereiten, dann kann es sein, dass die Wechselseitige Kommunikation nicht klappt. Oder Kann ich vorher nicht wissen, dass mich jemand berührt oder sich mein Tagesablauf ändert etc dann kann ich mich nicht auf die Reize vorbereiten und die ggf. Nicht verarbeiten und komme dadurch dann in einen Overload.

  • Bei mir hängt der Umgang mit Ungewissheit davon ab, welcher Natur die Ungewissheit. Wenn etwas von seiner Art her kaum bis gar nicht bestimmbar ist, kann ich mich damit viel besser abfinden als anders herum.

    Beispiel: Ich möchte einen Ausflug planen, der in drei Monaten stattfinden soll. Ich kann jetzt aber noch keine Gewissheit über das Wetter erlangen, egal wie sehr ich mich anstrenge. Ich kann mir Aufzeichnungen ansehen zur historischen Entwicklung und Durchschnittswerte für die Jahreszeit/den Monat heranziehen. Generell muss ich hier aber die Ungewissheit akzeptieren und kann das dann auch relativ gut. Anders wenn es eigentlich von den Rahmenbedingungen kein Problem wäre, etwas genauer zu bestimmen, aber irgendwelche anderen Umstände dazu führen, dass etwas nicht bestimmt werden kann. Insbesondere wenn es Schwammigkeiten anderer Personen oder das temporäre Nicht-Funktionen von Programmen o.ä. zur Ungewissheit führt, bereitet mir das größere Probleme. In dem Fall fällt es mir viel schwerer Ungewissheiten akzeptieren zu können.

    "Auf der Metaebene lässt sich Abstand gewinnen zum Geschehen. [...] Und dabei zeigt sich, dass es andere Perspektiven, andere Erlebensweisen und viel mehr Möglichkeiten für Lösungen gibt, als sich der Mensch in seiner alten kleinen Welt hatte träumen lassen." (Brit Wilczek)

  • Ich denke, dass die Intoleranz zum Unwissen oftmals daher rührt, dass der Mensch sich nicht grundlegend sicher fühlt aufgrund dessen er es in der Kindheit nicht in sich installieren konnte (traumatische Erfahrungen).

    Daraus resultierende Glaubenssätze sind deshalb so enorm wichtig (zB alle müssen ehrlich sein, nicht lügen). Der erste Schritt ist sicherlich erst einmal zu erkennen, dass jeder Mensch seine eigenen Glaubenssätze hat und sie auch haben darf. Ja, dass es sogar viele Menschen gibt die sie eben aufgrund der Kindheit und den Erlebnissen haben müssen. Mit Hilfe dieses Verständnisses gelingt es vielleicht eher, sich nicht über jeden aufzuregen, der zB lügt oder irgendeinem eigenen Glaubenssatz und eigenen Moralvorstellungen zuwider handelt. Dafür ist natürlich die Grundlage, dass man selbst dann mit dieser unvorhersehbaren Komponente des menschlichen Miteinanders leben kann...also sein eigenes Sicherheitsgefühl gestärkt hat.

    „Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns.“
    Rumi

  • @kikilino
    Laut dem Buch haben Studien ergeben, dass sich Menschen grundsätzlich mehr Gewissheit wünschen als mehr Ungewissheit. Unabhängig davon, ob sie krank sind oder nicht. Die aktuelle Gesellschaft erwartet aber von Menschen eine hohe Ungewissheitstoleranz und deklariert sie eher als krank, wenn sie diese nicht haben. Von daher würde ich die 'Ursachen' immer auch vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Definitionen betrachten. Ich könnte mir vorstellen, dass negative Bindungserfahrungen (dazu muss man nicht direkt traumatisiert sein) zu einem zusätzlichen Gewissheitsbedürfnis führen, wobei sich da Hinweise im Buch finden, dass man mit diesem Hintergrund sogar ausgesprochen Ungewissheigstolerant werden kann. Vielleicht zieht eine Gruppe den Schluss "wenn eh alles ungewiss ist und Gewissheit nicht zu erlangen ist, macht es auch keinen Sinn nach ihr zu suchen" und die andere Gruppe "ich brauche unbedingt Gewissheit und muss so lange danach suchen, bis ich sie finde". Warum die einen so reagieren, die anderen so, wüsste ich gerne. Vielleicht hat es mit der Form des Bindungsverhaltens früher zu tun, also ob jemand ambivalent gebunden war oder gar keine Bindung hatte (mir sind die zwei Fachbegriffe für letzteres entfallen). Leider ist das wohl nicht weiter beforscht worden bisher.

  • Zitat von Kikilino

    Der erste Schritt ist sicherlich erst einmal zu erkennen, dass jeder Mensch seine eigenen Glaubenssätze hat und sie auch haben darf.

    Ich glaube, dass es noch einen Schritt weiter gehen sollte und man lernt, nicht hilfreiche Glaubensätze aufzugeben. Dazu muss man wohl parallel positive Erfahrungen ermöglichen. Den Glaubenssatz "Ungewissheit ist um jeden Preis zu vermeiden" halte ich z. B. nicht für hilfreich, weil man in der heutigen Welt Ungewissheit nicht vermeiden kann.
    Ich denke also eher, dass es darum gehen sollte, die eigenen Glaubenssätze zu hinterfragen, neue Erfahrungen zu machen und überhaupt ins Blaue hinein zu wagen, um dadurch von den Glaubenssätzen loslassen zu können. Wenn man die Erfahrung macht, dass man auch bei Eintritt einer vorher ungewissen Situation handlungsfähig bleibt, fällt es leichter, den Glaubenssatz "Ungewissheit führt zu Handlungsfähigkeit" loszulassen. Aber vermutlich muss beides irgendwie parallel laufen.

    Im Buch bin ich noch nicht bei den 'Therapie'möglichkeiten angekommen.

  • Vielen Dank für die Tipp. Klingt nach einem sehr interessanten Buch. Ich glaube, dass das Bedürfnis nach Sicherheit und das nach Freiheit oft in einem angespannten Verhältnis zueinander stehen. Vielleicht gerade bei Autisten, die zusätzlich eine ADHS-Thematik haben und/oder in Gruppensituationen nicht gut zurecht kommen. Einerseits brauchen sie Sicherheit, um ihre Stärken entfalten zu können, andererseits fühlen sie sich gebunden an einen Ort bzw. in einer Gruppe aber auch schnell gefangen. Hier wäre ein Punkt, wo ein ausgebauterer Sozialstaat bzw. ein sicheres persönliches Budget wohl abhelfen könnte.

    From my youth upwards my spirit walk'd not with the souls of men. (...)
    My joys, my griefs, my passions, and my powers, made me a stranger.

  • Das mag ja rational richtig sein, eine gewisse Ungewißheitstoleranz zuzulassen. Das macht das Leben auf jeden Fall leichter. Allerdings gibt es in meinem Leben Situationen, bei denen die Ungewißheit über eventuell kommende Situationen bei mir eine regelrechte Panik erzeugt. Dagegen läßt sich rational nur schwer ankommen. Ich helfe mir so, daß ich mir für jede zu erwartende Situation mehrere Szenarien zurechtlege (das geschieht meistens mittlerweile unterbewußt). Das hilft mir dann weiter, da ich die für mich wahrscheinlichsten Situationen bereits in meiner Erwartungshaltung parat habe. Ich habe das mal einer Psychiaterin nerzählt, die mir aber nur kurz erwiederte, daß könne nicht sein, das habe sie noch nie gehört. Vielleicht kennt ihr ja auch so ein Vorgehen von euch auch?
    Anderseits gibt es natürlich auch die Schwierigkeit Entscheidungen zu treffen, da behelfe ich mir wie @FruchtigBunt beschrieben hat, indem ich alle möglichen Infornationen zusammentrage um ein vollstaändiges Bild zu erhalten, was mir dann hilft mich zu entscheiden. Kann ich das nicht entscheide ich meist auch nichts oder muß mit einem sehr unangenehmen Gefühl leben, das mir viel streß erzeugt (etwa so wie ein Blinder, der über die Straße geht und Watte im Ohr hat). Ob da ein einfaches "Umprogrammieren" reicht um sich das Leben leicher zu machen, kann ich noch nicht so recht glauben.

  • Ich helfe mir so, daß ich mir für jede zu erwartende Situation mehrere Szenarien zurechtlege (das geschieht meistens mittlerweile unterbewußt). Das hilft mir dann weiter, da ich die für mich wahrscheinlichsten Situationen bereits in meiner Erwartungshaltung parat habe. Ich habe das mal einer Psychiaterin nerzählt, die mir aber nur kurz erwiederte, daß könne nicht sein, das habe sie noch nie gehört. Vielleicht kennt ihr ja auch so ein Vorgehen von euch auch?

    Tatsächlich mache ich das auch so und meine Ex-Therpeutin fand das auch überhaupt nicht in Ordnung. Sie meinte das würde mich total anstrengen und belasten.
    Wobei ich das tatsächlich eher beruhigend finde.
    Ich gehe mögliche Sezenarien durch mache mir dafür Vorgehenspläne wie ich reagieren könnte bzw. was ich dann tun könnte und dann bin ich deutlich entspannter bei der Sache. Es kann auch sein dass ich dann doch völlig anders reagiere aber das stört mich meist dann nicht. Mir geht es darum immer maximal vorbereitet zu sein, dann kann es meist nur besser werden.

  • Sie meinte das würde mich total anstrengen und belasten.

    Damit hat sie ja auch Recht. So ein Vorgehen bindet eine Menge kognitiver Energie, allerdings gibt es für mich keine andere Lösung. Ich habe schon immer so funktioniert. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das funktionieren soll mit "einfach mal machen"?

  • Hä? Ich bin verwirrt und frage mich, wie man (bei wichtigen Ereignissen/Entscheidungen) nicht verschiedene Szenarien zu antizipieren versuchen kann. Ich dachte, dass würde jeder machen. Dass das nicht "normal" sein soll, könnte aber manches erklären...

    "Auf der Metaebene lässt sich Abstand gewinnen zum Geschehen. [...] Und dabei zeigt sich, dass es andere Perspektiven, andere Erlebensweisen und viel mehr Möglichkeiten für Lösungen gibt, als sich der Mensch in seiner alten kleinen Welt hatte träumen lassen." (Brit Wilczek)

  • Ich dachte früher auch immer, daß das normal ist, allerdings stieß ich insbesondere im Berufsleben damit immer wieder auf Probleme. "Normale" Menschen machen Dinge einfach und sehen dann wie es so läuft. Sie passen sich gegebenenfalls einer veränderten Situation einfach an und machen eben anders weiter. Die haben nicht den Zwang geplante Handlungen durchziehen zu müssen.

  • Zitat von Spero

    indem ich alle möglichen Infornationen zusammentrage um ein vollstaändiges Bild zu erhalten, was mir dann hilft mich zu entscheiden. Kann ich das nicht entscheide ich meist auch nichts oder muß mit einem sehr unangenehmen Gefühl leben, das mir viel streß erzeugt.

    Das kenne ich auch von mir. Ich trage manchmal so viele Informationen zusammen, dass ich manchmal die Orientierung verliere und trotzdem glaube ich oft, noch weiter suchen zu müssen, bis wirklich alle Fakten bekannt sind um ja die 'richtige' Entscheidung treffen zu können. Und oft treffe ich dann auch gar keine. Mich strengt das auch extrem an. Ich habe das immer als Zwangsverhalten eingeordnet und es gibt ja vermutlich auch Überschneidungen, aber mittlerweile sehe ich als Motiv meinen Wunsch, die Ungewissheit dadurch in den Griff bekommen zu wollen.

    Ich glaube nicht, dass es einfach wird, sich dahingehend umzustrukturieren. Ganz und gar nicht. Aber ich merke einfach, dass ich daran kaputt gehe, weiter nach Gewissheiten zu suchen, die es nicht gibt. Ich finde es wichtig, dort Sicherheit herzustellen und Gewissheit, wo es einem möglich ist. Aber ich will lernen, dass meine Existenz nicht länger von dieser Gewissheit abhängig ist. Sonst bin ich wirklich eines Tages komplett handlungsunfähig. Das will ich aber nicht sein, weil das auch Depressionen begünstigt.

    Ich bin gespannt was das Buch dahingehend vorschlägt und werde hier wahrscheinlich berichten. Es kann meiner Meinung nach nicht darum gehen, dass einem jemand diese Sicherheiten austreiben will, sondern man muss sich vermutlich mit den Ängsten (hier wurde auch Panik genannt) dahinter beschäftigen. Die Frage ist für mich, woher diese Ängste genau kommen und wie man ihnen am Besten begegnet.

    Vielleicht ist für den ein- oder anderen auch das Festhalten an verbleibenden Gewissheiten ausreichend, um das Leben zu bewältigen. Mir geht es leider so, dass ich mein Leben nicht mehr so bewältige, wie ich mir das wünsche und irgendwie habe ich einfach das Gefühl, dass ich das für mich aufdecken will. Mittlerweile denke ich mir auch, dass es mir schlechter eh nicht mehr gehen kann, ich also nichts zu verlieren habe. Naja, mal schauen, ob ich es schaffe, mich dem Thema weiter anzunähern. Ich bin gerade traurig, dass das Thema in meinen Therapien nie eine Rolle spielte.

  • @FruchtigBunt: Hallo erst einmal. :)

    Ja, das ist interssant, was Du schreibst und kann ich mir durchaus vorstellen bezüglich des Sicherheitsbedürfnisses und auch der Vorausschaubarkeit. Vielleicht ist das auch einer der vielen Gründe, warum unser Hirn sich entwickelt hat.

    Den Unterschied zur Traumatisierung macht 'in meinen Augen' (RW) der Zwang, der dahinter steht. Das ist mir schon bei vielen Verhaltensweisen aufgefallen, die an sich ja vielleicht sogar gut und nützlich sind.

    Besteht kein Zwang, so kann man frei entscheiden und auch bemerken, dass eine Analyse (zB des Wetters) gar nicht so viel bringen wird da nicht alle Faktoren bekannt sind oder im gegebenen Zeitraum sich ändern können etc.

    Ich würde schlechte Bindungserfahrungen auch zu den Traumatisierungen zählen.

    Zum zweiten Zitat: ich hatte meinen Satz auf das vorher geschriebene bezogen und stimme Dir, was die eigenen Glaubenssätze betrifft vollkommen zu. Und auch hier ist es sicherlich hilfreich einen möglichen Zwang dahinter zu erkennen oder zu sehen, dass man manches vielleicht einfach von Bezugspersonen übernommen hat ohne es zu hinterfragen. Besteht dieser Zwang und steckt eine Traumatisierung dahinter so ist eine Aufgabe oder Veränderung ja nur möglich, sobald das erfahrene Defizit behoben bzw. gemildert ist weil die Ängste sonst zu groß werden könnten (und ähnliches). Ohnmacht ist eine der schlimmsten gefühlten Situationen weil die Existenzangst die oftmals damit verbunden ist einfach unaushaltbar werden kann denke ich.

    Bin gespannt, was in dem Buch zu den Therapiemöglichkeiten steht...vielleicht magst Du Dir ja die Mühe machen darüber ein wenig zu berichten? Nur, wenn Du Zeit und Lust hast natürlich. ;) Ich habe mich hauptsächlich mit emotionsfokussierten Techniken auseinandergesetzt weil ich sie für sehr effektiv halte da sie direkt mit dem Unterbewussten korrespondieren und sehr tief in einem wirken können. Leider sind sie nur möglich, wenn man schon ein wenig sich seinen Gefühlen geöffnet hat und nicht mehr zu sehr auf den Verstand fokussiert ist. Um Glaubenssätze zu erforschen gibt es auch gute Techniken...oftmals sind sie den Menschen ja gar nicht bewusst. Ich weiß grad nicht auswendig, ob sie aus dem NLP kamen, da müsste ich nachschlagen (RW...nein, ich haue meine Bücher nicht :d ).

    Warum die einen so und die anderen so reagieren hat sicherlich zum einen mit der eventuellen Traumatisierung und dem Zwang zur Analyse zu tun und zum anderen auch mit Skripten. Manche Menschen erfahren in ihrer Kindheit, dass es keinen Sinn macht sich anzustrengen, etwas ändern zu wollen...sind also eher im Unterwerfungsmodus als im Kampfmodus. Es besteht ja die Idee in der Wissenschaft, dass man sich sehr früh für eine der drei Modi entscheidet und diese häufiger abruft bzw. in Notsituationen ohne Zeit zum Nachdenken dann wählt. Auch diesbezüglich ist es sicherlich am gesündesten, wenn man alle drei Modi je nach Situation frei wählen und auch ausführen könnte.

    „Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns.“
    Rumi

  • Ein sehr spannendes Thema @FruchtigBunt, danke für die Anregung, ich habe auch eine Weile drüber nachgedacht.

    Bei mir persönlich stelle ich fest, dass ich nicht denke, dass ich eine außergewöhnlich niedrige Ungewissheitsintoleranz besitze. Ich habe zB einige sehr religiöse Leute getroffen, die ein viel stabileres Bild von der Welt benötigen als ich.

    Ich musste allerdings auch lange lernen, dass viele soziale Dinge, die für mich ein Fakt waren ("es gibt böse Menschen", "alles geschieht absichtlich") viel unklarer(und ungewisser) sind, als ich es als Kind angenommen hatte, was mich tatsächlich sehr verunsichert hat und dazu geführt hat, dass ich Menschen sehr genau verstehen wollte.

    Mit der Verdachtsdiagnose ist allerdings der Druck andere Menschen bis ins Innere verstehen zu müssen, gesunken. Dadurch kann ich in der Kommunikation viel mehr Ungewissheit ertragen als vorher.

    Allgemein halte ich mich für jemanden, der normale bis wenige Gewissheiten braucht, aber schon jetzt gelernt hat, dass mehr Struktur das Leben vereinfacht. Ich brauche es also nicht für mein Inneres, sondern um mein Stresslevel niedrig zu halten und mir genug Zeit zu geben, Beziehungen aufzubauen.

    Das ist für mich auch die sehr deprimierende Seite der Verdachtsdiagnose: In meinem Kopf kann ich mir viel vorstellen, viele Lebensentwürfe interessant finden und bin gespannt auf alles Neue. Im alltäglichen Leben bin ich jedoch oft überfordert und blockiert in der persönlichen Kommunikation. Da hoffe ich immer noch, dass ich vielleicht doch etwas anderes (therapierbares) habe.

  • Zitat von Mugwump

    Mit der Verdachtsdiagnose ist allerdings der Druck andere Menschen bis ins Innere verstehen zu müssen, gesunken. Dadurch kann ich in der Kommunikation viel mehr Ungewissheit ertragen als vorher.

    @Mugwump
    Darf ich fragen, wie es dir gelungen ist, Ungewissheiten in der Kommunikation auszuhalten? Also welcher Gedankengang hat dir dabei geholfen? Ich halte Unklarheiten in der Kommunikation noch viel schlechter aus als anderweitige Unklarheiten (bei denen nicht direkt andere Menschen betroffen sind), denn da erwartet ja das Gegenüber eine Reaktion, was mich zusätzlich unter Druck setzt bzw mit einem menschlichen Gegenüber ist für mich alles noch viel komplexer, als wenn nur ein Sachproblem zu lösen wäre.

  • @kikilino

    Es freut mich, wenn du mit dem Thema etwas anfangen kannst. Dafür habe ich es ja online gestellt.
    Dennoch möchte ich dich bitten, bei dir selbst du bleiben. Ich habe es dir schon ein paarmal gesagt, dass mir deine Art zu aufdringlich ist und ich keine Konversationen mit dir führen möchte. Es scheint dir sehr wichtig zu sein, zu helfen und ich habe den Eindruck, dass du deinen Beruf als Therapeutin auch hier in diesem Forum ausübst. Für mich ermöglicht deine Art keine Begegnung auf Augenhöhe. Zur Verdeutlichung: Es geht mir nicht um deine inhaltliche Beteiligung, sondern darum, wie du mit mir kommunizierst, zumal ich schon ein paarmal gesagt habe, dass ich das nicht wünsche.

    Wenn ich schreibe

    Zitat von FruchtigBunt

    Ich bin gespannt was das Buch dahingehend vorschlägt und werde hier wahrscheinlich berichten.

    finde ich z. B. so einen Kommentar sehr befremdlich.

    Zitat von Kikilino

    Bin gespannt, was in dem Buch zu den Therapiemöglichkeiten steht...vielleicht magst Du Dir ja die Mühe machen darüber ein wenig zu berichten? Nur, wenn Du Zeit und Lust hast natürlich.

    Dazu immer wieder dem Kontext unangemessene Smileys. Was soll denn daran zum Beispiel zum Grinsen sein? Ich hatte angekündigt, dass ich evtl. über die Therapieratschläge im Buch berichte. Dabei werde ich wohl selbst am Besten wissen, ob ich das auxh dann tue, wenn ich Unlust dabei empfinde oder keine Zeit habe. Auf mich wirken deine Aussagen irgendwie oft gekünstelt und nicht authentisch.

    2 Mal editiert, zuletzt von FruchtigBunt (15. Januar 2020 um 12:47)

  • Hä? Ich bin verwirrt und frage mich, wie man (bei wichtigen Ereignissen/Entscheidungen) nicht verschiedene Szenarien zu antizipieren versuchen kann. Ich dachte, dass würde jeder machen. Dass das nicht "normal" sein soll, könnte aber manches erklären...

    Geht mir genauso. Insbesondere vor potenziell kontroversen Gesprächen spiele ich immer alles mögliche durch - und zwar insbesondere Szenarien für einen ungünstigen Verlauf. Da bin ich erstens "auf alles" vorbereitet (stimmt natürlich nicht, fühlt sich aber so an), und zweitens ist es dann oft so, dass nach wenigen Sätzen klar ist, dass zumindest die ganz negativen Szenarien nicht eintreten werden, und das nimmt viel Druck.

    Das halte ich aber für eine sinnvolle Strategie, wenn man weiß, dass man bei einem unerwarteten Verlauf sehr schnell unter Druck kommt und dann nichts (vernünftiges) mehr sagen kann, und das soll bei AS ja gelegentlich vorkommen...

  • Das halte ich aber für eine sinnvolle Strategie, wenn man weiß, dass man bei einem unerwarteten Verlauf sehr schnell unter Druck kommt und dann nichts (vernünftiges) mehr sagen kann, und das soll bei AS ja gelegentlich vorkommen...

    Das denke ich auch. Vor allem fände ich es gut, wenn Therapeuten das Ausmaß differenziert betrachten, bevor sie eine Strategie als unangemessen bewerten. Jemand, der bei jeder noch so kleinen Entscheidung hundert Szenarien "durchspielen" muss und am Ende womöglich gar nicht mehr selbst entscheiden kann, weil die Zeit bereits die Möglichkeit zur Entscheidung genommen hat oder die Person normalen Alltagstätigkeiten nicht mehr nachgehen kann, weil sie nur über mögliche Szenarien in riesigen Entscheidungsbäumen nachdenkt, hat vermutlich ein Problem und benötigt eine Strategie, die weniger Ressourcen verbraucht.

    Je wichtiger aber eine Entscheidung ist, um so beruhigender kann es sein, verschiedene Möglichkeiten zu durchdenken, einen Alternativplan zu haben oder auch nur offen für ein anderes Ende als den "Wunschausgang" zu sein. Wenn diese Strategie aber per se "abgewertet" wird, wird, so denke ich, dem grundsätzlichem Denkstil der Person nicht Rechnung getragen. Sämtliche Möglichkeiten zu sehen, werte ich für mich als etwas Positives. In einem nächsten Schritt ist es dann aber wichtig, aus den Möglichkeiten Wahrscheinlichkeiten herzuleiten und sich dann auf die Optionen mit den größten Wahrscheinlichkeiten bestmöglich (innerlich) einzustellen.

    "Auf der Metaebene lässt sich Abstand gewinnen zum Geschehen. [...] Und dabei zeigt sich, dass es andere Perspektiven, andere Erlebensweisen und viel mehr Möglichkeiten für Lösungen gibt, als sich der Mensch in seiner alten kleinen Welt hatte träumen lassen." (Brit Wilczek)

  • @kikilino

    Es freut mich, wenn du mit dem Thema etwas anfangen kannst. Dafür habe ich es ja online gestellt.
    Dennoch möchte ich dich bitten, bei dir selbst du bleiben.

    Dieser Aufforderung kann ich mich nur anschließen.

    @kikilino Du solltest vielleicht deinem Wunsch, anderen Menschen therapeutisch zu helfen, in der Realität nachzukommen versuchen, indem du eine konkrete entsprechende Ausbildung beginnst. Die User hier als Testobjekte zu benutzen, ist alles andere als okay.

    Einmal editiert, zuletzt von Lefty (15. Januar 2020 um 14:59)

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