Tiefenpsychologische Psychotherapie - Nutzen und Gutachterverfahren

  • Psychotherapeuten sind scheiße. Und vor allem arrogant es fuck. Es ist ein systemisches Problem, über das aber nicht oder zu wenig gesprochen wird.

    Hallo MusicSexNature,
    ehrlich gesagt, ähnliches, vielleicht nicht ganz so drastisch, habe ich auch schon mal gedacht, insbesondere hinsichtlich der Tatsache, dass es tatsächlich ein systemisches Problem ist. Ich scheine im System Psychotherapie und Psychiatrie für mich keinen Platz zu finden, obwohl ich wirklich dringend Hilfe brauche. Es bräuchte viel mehr individuelles Eingehen auf den Einzelnen; jeder hat doch ganz andere Bedürfnisse.
    Obwohl ich damit nicht sagen möchte, dass es nicht dennoch gute und engagierte Therapeuten und Helfer gibt; ich bin nur mit dem System, in dem sich all das bewegt, nicht wirklich zufrieden.

    ...was dann dazu führt, dass ein Großteil der Therapeuten sich nur auf die Behandlung "einfacher" und vor allem sehr verbreiteter Erkrankungen (Depressionen und Angststörungen) fokussieren. Alles andere sind dann "besonders schwere Spezialfälle" (...), obwohl die mit Sicherheit genauso verbreitet sind, nur eben nicht so sichtbar (...).

    Den Eindruck habe ich auch. Und dieser "Spezialfälle" möchte sich dann niemand annehmen. Ich wurde schon lapidar an vielen Stellen einfach weggeschickt, weil man sich dort nicht zuständig gefühlt hat oder, wie ich vermute, auf komplexere Störungen einfach keine Lust hatte. Alternativen werden einem nie genannt. Den meisten scheint es irgendwie egal zu sein, dass da ein Menschenleben und großes Leid hinterstehen.
    Die Frage ist dann nur, was macht man in der Not, an wen wendet man sich?
    Aber auch wie im letzten Absatz möchte ich betonen, dass ich dennoch denke, dass es auch sehr engagierte Therapeuten und Ärzte gibt, die sich wirklich Gedanken machen, aber es ist doch schwer, diese zu finden.

    Gesellschaftliche, soziokulturelle und sozioökonomische Aspekte psychischer Erkrankungen (hinsichtlich Entstehung als auch Heilung) haben in der Psychotherapie kaum eine Relevanz (da gibt es sogar wissenschaftliche Arbeiten zu dem Thema).

    Kannst du mir da vielleicht etwas zum Nachlesen nennen?
    Ich sehe das schon auch so. Meiner Meinung nach gibt es gesamtgesellschaftlich und sozialstaatlich zu wenig Unterstützung in den Bereichen psychischer Erkrankungen und Behinderungen, Krankenkassen allein können das auch gar nicht leisten.

    „Tue es oder tue es nicht. Es gibt kein Versuchen.“ - Meister Yoda

    Einmal editiert, zuletzt von Itchy (8. Januar 2020 um 20:24)

  • Ich will nicht zu pessimistisch klingen, aber: Psychotherapeuten sind scheiße.

    Verallgemeinerungen sind auch scheiße. Immer und ausnahmslos! ;)
    Dem, was du sonst schreibst, auch über die Komplexität des Ganzen, kann ich so im Großen und Ganzen zwar zustimmen, aber alle Therapeuten über einen Kamm zu scheren wird der Komplexität auch nicht gerecht. Es gibt auch welche, die fähig sind. Sie sind nur schwer zu finden und wohl (meiner persönlichen Statistik nach) auch deutlich in der Unterzahl.

    Konntest du in der VT etwas für dich erreichen? Ich bin dort leider auch nicht wirklich weiter gekommen. Ich bin innerlich irgendwie total starr und so fällt es mir schwer, an irgendeiner Stelle etwas zu verändern, das Gesamtkonstrukt an Problemen und ungünstigen Verhaltensweisen und Charakterzügen gerät bei mir dabei irgendwie nicht in Bewegung.

    Erreichen im Sinne von "Hurra, ich bin geheilt!" natürlich nicht. Anfangs hat die VT mir viel dabei geholfen, meine Umwelt besser zu verstehen und mir soziale Regeln/Mechanismen erklärt, was ich sehr hilfreich fand. Mittlerweile ist das eher in den Hintergrund gerückt und nur bei konkreten Problematiken zwischendurch wieder akut.
    Tiefgreifende Veränderungen gibt es wenig, aber die Begleitung tut mir trotzdem gut und auch, dass jemand den Verlauf im Auge hat und Rückmeldung geben kann, wenn etwas in eine ungute Richtung geht, was ich selbst noch gar nicht so wahrgenommen habe. Das entspricht allerdings wahrscheinlich wirklich nicht der Zielsetzung, die die Krankenkassen vorgeben und ich habe Glück, dass meinem Therapeuten das egal ist, Stichwort "individuelles Eingehen auf den Einzelnen und seine Bedürfnisse".

  • Dem, was du sonst schreibst, auch über die Komplexität des Ganzen, kann ich so im Großen und Ganzen zwar zustimmen, aber alle Therapeuten über einen Kamm zu scheren wird der Komplexität auch nicht gerecht. Es gibt auch welche, die fähig sind. Sie sind nur schwer zu finden und wohl (meiner persönlichen Statistik nach) auch deutlich in der Unterzahl.

    Dito!

    Tiefgreifende Veränderungen gibt es wenig, aber die Begleitung tut mir trotzdem gut und auch, dass jemand den Verlauf im Auge hat und Rückmeldung geben kann, wenn etwas in eine ungute Richtung geht, was ich selbst noch gar nicht so wahrgenommen habe.

    Das klingt gut. Vielleicht ist in manchen Fällen ja mehr einfach nicht möglich. Problematisch stelle ich mir das nur vor, wenn die Krankenkasse die Therapie dann irendwann nicht mehr verlängert, eben weil es nicht der typischen Zielsetzung entspricht, oder wenn generell das Kontingent ausgeschöpft ist.
    Schön, dass du einen Therapeuten gefunden hast, der sich so sehr an deinen Bedürfnissen orientiert und dir diese Art der Begleitung gut tut.

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  • ehrlich gesagt, ähnliches, vielleicht nicht ganz so drastisch, habe ich auch schon mal gedacht, insbesondere hinsichtlich der Tatsache, dass es tatsächlich ein systemisches Problem ist.

    Ich habe bisher noch keinen arroganten Therapeuten getroffen. Die, mit denen ich Erstgespräche hatte oder eine Therapie begonnen habe, waren sehr freundlich, nur einer war ziemlich seltsam.
    Ich denke, es hängt auch viel davon ab, was man auf den Therapeuten alles projiziert (was man denkt, was der Therapeut denken würde, und wie man sich fühlt und dann meint, der Therapeut würde das auch denken und fühlen) und welche Vorurteile man hat.
    Es ist schade, wenn man vor lauter Vorurteilen schon gar nicht mehr offen und auf Augenhöhe mit einem Menschen reden kann. Ein Therapeut ist ja nur jemand, dessen Hilfe man in Anspruch nimmt, damit es einem besser geht. Man muss sich da nicht minderwertig fühlen, und auch der Therapeut denkt nicht, dass man minderwertig wäre. Solche Gedanken kommen nur aus einem selbst. Bei Meinungsverschiedenheiten habe ich bisher die Erfahrung gemacht, dass man darüber reden kann und dass meine Meinung auch akzeptiert wird. Dabei hilft es sicher, wenn man freundlich bleibt. Ich gehe immer davon aus, dass ein Therapeut mir nichts Böses will, und dann muss ich auch nicht mit ihm kämpfen. Aber wenn etwas, was er sagt oder vorschlägt, nicht stimmt oder mir nicht hilft, dann darf ich das natürlich sagen.

    Das mit dem durch ungünstige Erfahrungen erworbenen Autismus ist eine Außenseitermeinung. Therapeuten, die dieser Meinung anhängen, würden natürlich niemals akzeptieren, dass deine Wahrnehmung tatsächlich so ist, wie sie ist. Sie würden das Problem woanders suchen und versuchen, das wegzutherapieren. Was fatal wäre.
    Diese Außenseitermeinung kannst du getrost vergessen, das hat ungefähr so viel Gehalt wie die Aussage, Autismus wäre durch Impfungen verursacht.

    Dass es sehr schwer ist, einen Therapeuten zu finden, kann ich bestätigen. Vor allem, wenn man versucht, nur über Mails einen zu finden. Viele reagieren nicht auf Mails, weil sie einfach völlig überlaufen sind. Aber wenn du mehrere Ablehnungen bekommen hast, kannst du mal mit deiner Krankenkasse reden, ob sie im Kostenerstattungsverfahren auch die Kosten für einen Therapeuten ohne Kassensitz übernehmen würden. Dabei kannst du erklären, dass es wegen der Diagnose besonders schwierig ist, einen Therapeuten zu finden. Die Therapeuten ohne Kassenzulassung haben meistens mehr Plätze frei. Allerdings muss man da dann auch beim Erstgespräch besonders gut aufpassen, dass man einen guten erwischt, weil diese Therapeuten ja von niemandem kontrolliert werden. Leider weigern sich manche Krankenkasse, und wie groß die Chancen sind, das dann erfolgreich einzuklagen, weiß ich nicht.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • Magst du deinen Eindruck ein bisschen genauer begründen? Wäre sehr interessiert daran, wie du das siehst.

    Leute schreiben ja hier, weil Sie Probleme haben. Immer wieder vorkommendes Beispiel: Ring-Ring-Ring, das Telefon klingelt. Ich hab mir gerade nochmal ein paar Threads dazu durchgelesen. Da fällt dann ganz oft das Wort "Panik", und fast jeder schrieb, dass er/sie/es ungern telefoniert. Ist das ein originär autistisches Problem? Klar, wenn du gerade versuchst, mit dem Handy zu telefonieren, während du an einer sechsspurigen Ausfallstraße stehst, hast du natürlich das reale Problem, vor lauter Verkehrslärm den anderen nicht verstehen zu können.

    Aber ist das in den "normalen" Situationen nicht eher eine Frage des Selbstwerts? Und wenn ja, warum ist das so? Gibt es im Leben des Einzelnen Ursachen, die dazu führen, dass jemand nicht telefonieren mag? Wartet ggf. jemand darauf, dass man ihm sagt, dass er das tun darf, weil genau dies nie jemand gesagt hat und derjenige sich selbst nicht als so erwachsen wahrnimmt, dass er es sich selbst erlauben würde?

    Just for Beispiel.


    Ganz ganz grob gesagt: Der Therapeut sagt etwas (zB "Sie sind ständig dabei, Nähe zu vermeiden, und das sogar systematisch"), aufgrund einer intimen Äußerung von dir, die dir schon sehr viel Überwindung gekostet hat, überhaupt zu offenbaren. Dies wird dann noch mit wertenden Signalen seitens des Therapeutens (nonverbal, zT auch verbal) verknüpft. Folge: Man verinnerlicht "Ich vermeide, und das ist schlecht", ohne aber zu wissen: a) warum ich vermeide, b) dass Vermeidung eine Schutzfunktion hat und damit auch erst mal etwas ist, das man achten und wertschätzen sollte, und vor allem c) ohne Verhaltensalternativen aufgezeigt zu bekommen. Gerade letzter Punkt ist vielleicht ein Nachteil der TP gegenüber der VT: Man läuft Gefahr, mit den Erkenntnissen allein gelassen zu werden.

    Ja, Vermeidung kann eine Schutzfunktion haben, und insofern ist es absolut richtig, zunächst erstmal anzuerkennen, dass dies so ist. Dann sollte es ja der tiefenpsychologische Sinn sein, zu ergründen, warum dies so ist. Und dann das Vermeidungsverhalten nach und nach ersetzen zu können.

    Ich denke, dafür ist es aber auch erforderlich, selber gedanklich nachvollziehen zu können, also: Weil früher XY passiert ist, und das Verhalten von AB mich an das Verhalten meiner Mutter damals triggert, tue ich jetzt dies (oder tue dies eben gerade nicht)


    Wenn es dann noch Richtung komplexe Traumata geht (bei mir kam "knall auf fall" ein Trauma aus der Kindheit wieder hoch, dass wirklich über Jahrzehnte erinnerungsmäßig blockiert wurde, und das hat mich komplett zerlegt), stellt sich ja nicht nur die Frage, ob der Therapeut dafür kompetent ist. Nicht minder bedeutsam ist doch, ob man selbst stabil genug ist, sich damit auseinander zu setzen.

    Nobody expects the spanish inquisition!

  • Es ist schade, wenn man vor lauter Vorurteilen schon gar nicht mehr offen und auf Augenhöhe mit einem Menschen reden kann.

    Ich bin da ja gar nicht voll mit Vorurteilen; ich glaube, hier gab es ein Missverständnis. In meinem Beitrag in Bezug auf den Beitrag von MusicSexNature habe ich zwar geschrieben, dass ich manchmal auch so denke, wenn auch nicht so drastisch, weil ich einfach frustriert ob der Situation im Hilfesystem bin. Aber ich habe ja auch geschrieben, dass ich zum einen dennoch der Meinung bin, dass es natürlich auch sehr engagierte und gute Therapeuten gibt, und dass ich zum anderen vor allem denke, dass das Problem hier insbesondere am System liegt.
    Das führt dazu, dass viele sich in meinem Fall gar nicht zuständig fühlen und mich weiterschicken, ohne sich wirklich mit mir auseinanderzusetzen. Am Ende gerät man immer zwischen die Fronten, dass man wegen der Autismus-Diagnose an ATZs verwiesen wird, die wiederum verweisen einen an Therapeuten. Die Kostenfrage spielt dann ja auch noch eine Rolle, da die KK keine Autismus-Behandlung finanziert und das Sozialamt keine Psychotherapie.

    Das führt mir jetzt aber alles viel zu sehr vom eigentlichen Thema weg. Ich wollte eigentlich nur Erfahrungen zur TfP und Autismus erhalten.
    Dennoch danke ich dir, dass du dir die Zeit für eine so lange Antwort genommen hast.

    Aber wenn du mehrere Ablehnungen bekommen hast, kannst du mal mit deiner Krankenkasse reden, ob sie im Kostenerstattungsverfahren auch die Kosten für einen Therapeuten ohne Kassensitz übernehmen würden.

    Ich glaube, seit der Psychotherapiereform ist es so gut wie unmöglich geworden, im Kostenerstattungsverfahren eine Therapie finanziert zu bekommen.

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    Einmal editiert, zuletzt von Itchy (8. Januar 2020 um 23:19)

  • Aber ist das in den "normalen" Situationen nicht eher eine Frage des Selbstwerts? Und wenn ja, warum ist das so? Gibt es im Leben des Einzelnen Ursachen, die dazu führen, dass jemand nicht telefonieren mag?

    Danke, thelord, jetzt kann ich viel besser verstehen, was du meinst. Ich denke auch, dass Psychodynamik da eine große Rolle spielt bei vielen Problemen, die hier geschildert werden. Angst und Depressionen sind ja per se nichts Autistisches, können sich höchstens in Verkettung daraus ergeben.

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  • Zitat von Itchy

    Dazu fällt mir gerade ein, dass ich vor kurzem eine Folge eines Podcasts über Psychoanalyse gehört habe, in der es um Autismus ging.

    @Itchy
    Oh, interessant. Hast du dazu zufällig einen Namen des Podcasts oder einen Link? Ich würde mich gerne näher damit beschäftigen.

  • Oh, interessant. Hast du dazu zufällig einen Namen des Podcasts oder einen Link? Ich würde mich gerne näher damit beschäftigen.

    Der Podcast heißt "Rätsel des Unbewussten", ist auch bei Youtube zu finden. Folge 27 ist die über Autismus. Allerdings wird speziell zu diesem Punkt über die Ursache leider nicht allzu viel gesagt.

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  • Ich denke, es hängt auch viel davon ab, was man auf den Therapeuten alles projiziert (was man denkt, was der Therapeut denken würde, und wie man sich fühlt und dann meint, der Therapeut würde das auch denken und fühlen) und welche Vorurteile man hat.
    Es ist schade, wenn man vor lauter Vorurteilen schon gar nicht mehr offen und auf Augenhöhe mit einem Menschen reden kann.

    Mich würde auch interessieren, auf wen oder was genau du da Bezug nimmst. Und auf welcher Grundlage du meinst, beurteilen zu können, dass ein solches Kommunikationsproblem allein vom Klienten kommt. Wo hast du das konkret beobachtet? Wenn du da kein konkretes Beispiel für hast, bitte ich dich darum, vorsichtig mit solchen Urteilen zu sein.


    Man muss sich da nicht minderwertig fühlen, und auch der Therapeut denkt nicht, dass man minderwertig wäre.


    Haarsträubend solch eine Aussage. Genau das ist doch die Aufgabe und Verantwortung eines kompetenten Therapeuten: Minderwertigkeitsgefühle, die beim Klienten zum Ausdruck kommen, wahrzunehmen, und damit zu arbeiten. Minderwertigkeitsgefühle sind zudem in vielen Fällen nicht bewusst. Willst du sagen, dass es dann die Verantwortung des Klienten ist, dass eine Therapie scheitert, weil ihm diese Minderwertigkeitsgefühle nicht bewusst sind, oder er nicht damit umzugehen weiß?

    Minderwertigkeitsgefühle (bewusste und unbewusste) sind das menschlichste was es überhaupt gibt und (unverarbeitet/nicht bewusst) eins der Hauptursachen von psychischen Erkrankungen. Sie sind ein Grund, warum ein Therapiebedarf besteht. Diese Gefühle sind real und entstanden durch das Erleben von Vertrauensmissbräuchen. Es ist also logisch und die Regel, dass viele Klienten ihrem Therapeuten ggü. Minderwertigkeitsgefühle haben (natürlich nicht bei allen psychischen Störungen, bei einer spezifischen Phobie muss das kein Thema sein, aber bei allen Persönlichkeits-, Traumafolge- und Beziehungsstörungen stehen Minderwertigkeitsgefühle im Mittelpunkt!). Das nennt man gerade im tiefenpsychologischen Kontext Übertragung. Und ein kompetenter Therapeut nimmt das wahr und arbeitet damit. Und fühlt sich davon nicht persönlich angegriffen. Wenn doch, ist das Ausdruck seiner eigenen unverarbeiteten Minderwertigkeitsgefühle, oder eben einer schlechten Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion. (Und selbstverständlich gibt es immer persönliche Grenzen, aber auch da ist dann der Therapeut in der Pflicht, das zu kommunizieren und die therapeutische Arbeit zu beenden.)

    Ein Patient ist immer jemand, der hilfsbedürftig ist. Dass das immer wieder, sowohl in öffentlichen Debatten als auch in der therapeutischen Arbeit, ignoriert wird, ist fahrlässig und meiner Meinung nach höchst arrogant.

    Und noch mal zum Thema Autismus und Psychotherapie:
    Autisten brauchen (ob mit Trauma oder ohne) eine explizite Sprache. Vielen Therapeuten ist dies nicht bewusst, sodass erwartet wird, dass implizite emotionale Botschaften vom Klienten sowohl gesendet als auch empfangen werden. Dies führt zu Missverständnissen in der Kommunikation. Da in Bezug auf die eigenen Emotionen bei Autisten oft eine Sprachlosigkeit vorherrscht, können diese Missverständnisse nicht aufgeklärt werden. Es kommt zu Fehldeutungen seitens des Therapeutens, der Patient fühlt sich missverstanden, wird vielleicht wütend, fühlt sich hilflos, und versucht sich dagegen zu wehren, indem er das Verhalten des Therapeutens entwertet (zB "Sie verstehen mich nicht", "Sie haben mir nicht richtig zugehört", "Sie unterstellen mir Dinge die nicht stimmen" etc). Das wird wiederum vom Therapeuten nicht verstanden, dieser fühlt sich in seiner Kompetenz angegriffen und wertet das Verhalten des Patienten als unangemessen oder ähnliches ab. Der Patient entwickelt oder verstärkt bereits vorhandene Scham- und Schuldgefühle, die er aber wiederum nicht ausdrücken kann. Und das kann dann zu einem nicht enden wollenden Teufelskreis werden.
    So, wer ist hier in der Verantwortung, der hilfsbedürftige Patient (der sich eh schon gesellschaftlich stigmatisiert fühlt da er eine psychische Erkrankung hat und sich damit umso abhängiger davon fühlt, therapiert werden zu müssen)?
    Oder der Psychotherapeut (der nicht psychisch krank ist (zumindest nicht offiziell und damit nicht für den Klienten erkennbar), der für seine Arbeit bezahlt wird, durch seine Berufsbezeichnung "Psychotherapeut" die sozial kodierte Botschaft nach außen kommuniziert "Ich helfe Ihnen, wenn Sie psychisch krank sind" sowie die Erwartung hervorruft, durch Studium und Ausbildung in der Lage zu sein, sowohl das Erleben und Verhalten seines Patientens, als auch sein eigenes Erleben und Verhalten analysieren, verstehen und einordnen zu können, um daraus vertretbare therapeutische Entscheidungen treffen zu können)?

    Als Ergänzung: Die Frage ist nicht speziell an dich gerichtet, ich habe nicht die Absicht, dir zu unterstellen, dass du sagst "Wenn eine Therapie scheitert, hat der Klient schuld". Aber es klingt in dem, was du schreibst, zumindest an und kam auch in der Vergangenheit immer wieder vor. Aus dieser Wahrnehmung hat sich meine Fragestellung entwickelt.

  • Leute schreiben ja hier, weil Sie Probleme haben. Immer wieder vorkommendes Beispiel: Ring-Ring-Ring, das Telefon klingelt. Ich hab mir gerade nochmal ein paar Threads dazu durchgelesen. Da fällt dann ganz oft das Wort "Panik", und fast jeder schrieb, dass er/sie/es ungern telefoniert. Ist das ein originär autistisches Problem? Klar, wenn du gerade versuchst, mit dem Handy zu telefonieren, während du an einer sechsspurigen Ausfallstraße stehst, hast du natürlich das reale Problem, vor lauter Verkehrslärm den anderen nicht verstehen zu können. Aber ist das in den "normalen" Situationen nicht eher eine Frage des Selbstwerts?

    Darf ich fragen, wie du zu der Feststellung kommst, es könnte kein autistisches Problem sein? Nicht falsch verstehen: In deinem Status steht "Interessierter", daraus schließe ich dass du nicht autistisch bist oder? Daher wundere ich mich nur über diese Aussage. Denn gerade dieses Beispiel ist für mich ein zutiefst autistisches Problem, ich habe gerade aber leider nicht mehr genug Konzentration, um das erklären zu können.

  • Wenn es dann noch Richtung komplexe Traumata geht (bei mir kam "knall auf fall" ein Trauma aus der Kindheit wieder hoch, dass wirklich über Jahrzehnte erinnerungsmäßig blockiert wurde, und das hat mich komplett zerlegt), stellt sich ja nicht nur die Frage, ob der Therapeut dafür kompetent ist. Nicht minder bedeutsam ist doch, ob man selbst stabil genug ist, sich damit auseinander zu setzen.

    Die Frage ist nur, ob du als hilfsbedürftiger Patient mit dysfunktionalen Bewältigungsstrategien überhaupt in der Lage bist, einschätzen zu können, ob du stabil genug dafür bist. Zudem ist das Sich-Auseinandersetzen-damit auch nicht etwas, das man schwarz-weiß beantworten kann mit "ja" oder "nein", ist es nicht eher ein Prozess, in dem man sich Stück für Stück an Erinnerungen und damit verbundenen Emotionen herantastet? Bewusst erzwingen kann man das eh kaum, das Unbewusste lässt nur das zu was es zulassen möchte.

    Und wenn man mit einem Komplextrauma bei einem Traumatherapeuten ist, habe ich als Patient die Erwartung, dass dieser mit mir erst mal erarbeitet und erörtert, ob genug innere Stabilität und Sicherheit bzgl der Lebenssituation vorhanden ist, damit zusammen entschieden werden kann, ob man sich mit dem spezifischen Trauma auseinandersetzt. Hast du nicht diese Erwartung an deinen Therapeuten?

  • Ich bin da ja gar nicht voll mit Vorurteilen; ich glaube, hier gab es ein Missverständnis.

    Das war auch gar nicht persönlich gemeint, sondern allgemein. Deshalb "man" und nicht "du".

    Ich glaube, seit der Psychotherapiereform ist es so gut wie unmöglich geworden, im Kostenerstattungsverfahren eine Therapie finanziert zu bekommen.

    Versuchen kann man es ja trotzdem mal. Mehr als ablehnen kann es die Krankenkasse nicht, und soviel ich weiß, gehen auch nicht alle Krankenkassen gleich damit um. Manche machen es nie, und andere machen es.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • Danke für deine Antwort!Ich würde am liebsten beide Konzepte verbunden haben. Es sollte nicht nur in der Vergangenheit herumgesucht werden, aber sich nur an Symptomen langzuhangeln, find ich irgendwie zu oberflächlich.
    Ich dachte, in der tiefenpsychologischen Therapie würde es nicht auch nur um die Vergangenheit gehen, sondern um Unbewusstes, also dass man das innere Konzept hinter all den Symptomen versteht.

    Ich mache zur Zeit eine tiefenpsychologische Therapie, aber meine Therapeutin macht da auch Ansätze aus der Verhaltenstherapie. Denke, wenn man es anspricht, kann man auch beide Therapieformen machen.

  • Das große Problem ist aber denke ich die Sprache der meisten Tiefenpsychologen, die Begrifflichkeiten, die für Deutungen und Interpretationen verwendet werden.

    Bevor mein AS Verdacht aufgekommen ist, war ich auch einmal bei einem Psychologen, der TP angewendet hat. Das große Problem bei der Sache war, daß er immer wieder versucht hat auf eine emotionalen Ebene mit mir zu kommunizieren und dabei sicherlich auch mit entsprechenden nonverbalen Aktionen gearbeitet hat. Ich konnte das jedoch überhaupt nicht erkennen, so daß es ständig zu Mißverständnissen kam. An vielen Stellen habe ich mich regelrecht "verarscht" gefühlt. Im Prinzip war das genau das gleiche Gefühl, wenn ich mich allein unter fremden Menschen befinde, völlig orientierungslos und verunsichert. Als ob man als unsichtbarer Geist unter den anderen herumwandelt.
    Zuletzt hat der Therapeut die Behandlung abgebrochen, da er "nicht die erforderliche therapeutische Beziehung" zu mir herstellen konnte. Ich denke daher, daß TP für Autisten eher ungeeignet ist, da hier auf Kommunikationsebenen gearbeitet wird, die für AS Betroffenen nur sehr schwer zu vertehenn sind. Sicherlich kann das auch funktionieren, wenn es speziell ausgebildete Therapeuten gäbe, die statt auf der emotionalen, auf der rationalen Ebene arbeiten, um das innere einer AS Psyche zu erkunden.

  • Bevor mein AS Verdacht aufgekommen ist, war ich auch einmal bei einem Psychologen, der TP angewendet hat.

    Ich denke, das Problem war da nicht allein die Therapierichtung, sondern vor allem, dass es noch keine AS-Diagnose gab. Da konnte der Therapeut ja auch gar nicht darauf eingehen oder sich darauf einstellen, und ist von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Wenn es die AS-Diagnose schon gegeben hätte, dann hätte der Therapeut dich entweder gleich ablehnen können oder ggf. sich näher mit AS beschäftigen und sich in das Thema einarbeiten.
    Im zweiten Fall hätte es vielleicht besser laufen können. Wobei ich schon denke, dass man bei Therapeuten, die sich noch nicht gut mit AS auskennen, immer einiges an zusätzlicher Erklärungsarbeit hat. Also dass man ihm erklären muss, wie man Dinge versteht oder nicht versteht usw.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • Darf ich fragen, wie du zu der Feststellung kommst, es könnte kein autistisches Problem sein? Nicht falsch verstehen: In deinem Status steht "Interessierter", daraus schließe ich dass du nicht autistisch bist oder? Daher wundere ich mich nur über diese Aussage. Denn gerade dieses Beispiel ist für mich ein zutiefst autistisches Problem, ich habe gerade aber leider nicht mehr genug Konzentration, um das erklären zu können.

    Es ist ja keine Feststellung von mir, es könnte kein autistisches Problem sein. Es ist eine Frage. Und die Frage ist für mich auch deshalb interessant, weil ich selbst ja auch Probleme dabei habe.

    Auf der anderen Seite gibt es Autisten, die damit kein größeres Problem haben. Klar, in jeder Gruppe von Menschen gibt es unterschiedliche Typen, die sich unterschiedlich verhalten. Warum sollte das bei AS anders sein? Imho spricht das aber eher dafür, dass sich z. B. die Erlebnisse, die man gehabt hat (Mobbing; nicht ernst genommen werden; Bagatellisierung eigener Probleme etc.), Auswirkungen darauf haben, wie man sich selbst wahrnimmt. Und das macht sich u.a. auch beim Telefonieren bemerkbar.

    Man könnte ja durchaus vom Gegenteil ausgehen: Eine Kommunikationsmöglichkeit, die umgehend eine Antwort ermöglicht, ohne dass man mit dem anderen im Face-to-face-Kontakt (Problem mit dem in die Augen schauen?) sein muss.

    Zu meinem Status: Bis vor einigen Monaten stand da VA, jetzt steht da "Interessierter", nachdem die AS-Diagnose nicht vergeben wurden. Auf den Bericht warte ich noch. Kernaussage war, dass die Angehörigenbefragung nicht dafür sprach, dass autistische Symptome von Geburt an vorgelegen hätten, und andererseits ein traumatisches Ereignis noch vor der Einschulung ein plausibler Auslöser für die Entwicklungsstörung sein kann. Wobei m.E. dann eine genetische "Vorbelastung" unberücksichtigt blieb, aber sei's drum. Der entscheidende Punkt scheint ja zu sein, dass AS eine angeborene und keine später erworbene Entwicklungsstörung ist.

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  • Die Frage ist nur, ob du als hilfsbedürftiger Patient mit dysfunktionalen Bewältigungsstrategien überhaupt in der Lage bist, einschätzen zu können, ob du stabil genug dafür bist. Zudem ist das Sich-Auseinandersetzen-damit auch nicht etwas, das man schwarz-weiß beantworten kann mit "ja" oder "nein", ist es nicht eher ein Prozess, in dem man sich Stück für Stück an Erinnerungen und damit verbundenen Emotionen herantastet? Bewusst erzwingen kann man das eh kaum, das Unbewusste lässt nur das zu was es zulassen möchte.
    Und wenn man mit einem Komplextrauma bei einem Traumatherapeuten ist, habe ich als Patient die Erwartung, dass dieser mit mir erst mal erarbeitet und erörtert, ob genug innere Stabilität und Sicherheit bzgl der Lebenssituation vorhanden ist, damit zusammen entschieden werden kann, ob man sich mit dem spezifischen Trauma auseinandersetzt. Hast du nicht diese Erwartung an deinen Therapeuten?

    Bei mir war es so, dass bei mir die Erinnerung an das Trauma geblockt war. Die Verdrängung war mir also gar nicht bewusst, umso tiefer haben mich die Erkenntnisse heruntergezogen.

    Als ich mich auf die Therapeutensuche machte, ging ich von einem spezifischen Problem aus. Gut, mir war bewusst, dass vieles von früher einer Aufarbeitung bedurfte, auch AS-Verdacht wurde erst 1 Jahr später geäußert. Immer noch, ohne es zu ahnen, bin ich dem Traumapunkt zu nahe gekommen, und das Unbewusste sah sich genötigt, die Notbremse zu ziehen, und die Erinnerung freizulegen.


    Klar, wenn ich nun auf eine Therapeutensuche ginge, dann würde ich natürlich darauf den Fokus legen, dass derjenige erfahren ist im Umgang mit komplexen Traumata.

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  • Es ist ja keine Feststellung von mir, es könnte kein autistisches Problem sein. ...

    Auf der anderen Seite gibt es Autisten, die damit kein größeres Problem haben. ... Imho spricht das aber eher dafür, dass sich z. B. die Erlebnisse, die man gehabt hat (Mobbing; nicht ernst genommen werden; Bagatellisierung eigener Probleme etc.), Auswirkungen darauf haben, wie man sich selbst wahrnimmt. Und das macht sich u.a. auch beim Telefonieren bemerkbar.

    Man könnte ja durchaus vom Gegenteil ausgehen: Eine Kommunikationsmöglichkeit, die umgehend eine Antwort ermöglicht, ohne dass man mit dem anderen im Face-to-face-Kontakt (Problem mit dem in die Augen schauen?) sein muss.

    Das ist ein ganz gutes Beispiel. Ich halte meine Probleme beim Telefonieren stärker für autismusbedingt als für erfahrungsbedingt (ich nenne es einfach mal so, wahrscheinlich gäbe es einen besseren Begriff dafür, aber im Kontext sollte klar sein, was ich meine). Denn was mir daran Probleme bereitet, ist ziemlich konkret: zum Beispiel, dass ich mein Gegenüber akustisch beim Telefonieren schlechter verstehe, weil (so hat man es mir erklärt, ich glaube das einfach mal) Frequenzen herausgefiltert werden, und weil die Möglichkeit des begleitenden "Lippenlesens" fehlt. Auch ist es schwerer, die eigenen Einsätze richtig zu timen, wenn ich mein Gegenüber nicht sehe. Dazu kommt die Unsicherheit, dass ich nie weiß, ob ich jemanden gerade störe, wenn ich jetzt anrufe. Andersherum reißt mich das Telefonklingeln aus meiner aktuellen Tätigkeit heraus und ich muss mich spontan auf eine unbekannte Situation einstellen, was mich überfordert. Generell ist auch die Kommunikationssituation ganz anders als beim normalen Gespräch, das viel unverbindlicher ablaufen kann, aber ein Anruf hat immer einen gewissen Hintergrund, eine Absicht.

    Das ist nur mal ein schnelles Brainstorming und bestimmt nicht vollständig. Es sind aber alles Gründe, die nicht psychodynamisch durch schlechte Erfahrungen und darauf aufbauende negative Kognitionen bedingt sind. Klar kommt obendrein dazu, dass mich Telefonieren aufgrund dieser Schwierigkeiten stärker stresst als jemanden, der diese Schwierigkeiten nicht erlebt, und darunter leidet wiederum die Performance. Aber das ist Folge, nicht Ursache.

    Um den Bogen zurück zum Thema zu schlagen: Wenn ein Therapeut diese Probleme falsch einstuft oder mit den falschen (i.e. individuell unpassenden) Strategien angeht, wird die Therapie nicht viel helfen. Das trifft auf VT genauso zu wie auf TfP oder Analyse; allerdings glaube ich, dass die Gefahr von falschen Deutungen größer ist, je mehr der Therapeut in Richtung Psychoanalyse tendiert. Weil Deutungen da zum Grundkonzept gehören, stärker als bei der VT.

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