Jemand anders sein (wollen)

  • Hallo,
    ich habe zu dem Thema leider nichts über die Suche gefunden, da die Begriffe sehr vage waren, deswegen ein neuer Thread.

    Ich bin ja Verdachtsautistin, und als ich mich an meine Pubertät und die zugehörigen Probleme erinnert habe, ist mir wieder in den Sinn gekommen, wie ich damals versucht habe, meine Ziele auch wirklich umzusetzen. (Die damals ganz langweilig waren: Freunde finden).

    Und zwar hatte ich mehrere Rollen/Charaktere, in die ich mich reingedacht und gefühlt habe, und die habe ich dann im realen Leben versucht zu "bespielen". Das fing morgens mit der Kleidung an (als "richtiges" Mädchen zB etwas geblümtes) und ging dann weiter mit Ausdrucksweise und wie ich auf die Aussagen anderer Menschen reagiert habe.

    Das war weniger extrem als es sich jetzt hier liest, aber mir ist in letzter Zeit aufgefallen, dass "Rollen ausdenken" immer noch eine genutzte Bewältigungsstrategie von mir ist. Als mein Studium überhaupt nicht mehr lief, habe ich mir vorgestellt, wie es wäre Polizistin, Ingenieurin usw zu sein und ob ich das gut finden würde. Die Entscheidung fiel mir riesig schwer, aber ich hatte dann eine Rolle rausgesucht und bin mit großer Motivation dran gegangen, sie auszufüllen, was aber so wie früher richtig schnell gescheitert ist. Weil ich zB die Fächer überhaupt nicht mochte oder so wie in der Schule gar nicht mit den Leuten gut klarkommen wollte, mit der meine Rolle gut klarkommen würde.

    Kennt das jemand von euch auch in dem Ausmaß? Dadurch habe ich irgendwie das Gefühl, dass ich mich eigentlich gar nicht kenne.

    Falls das kein Autismus-Thema ist, darf der Thread auch gern gelöscht werden.

    Einmal editiert, zuletzt von Mugwump (16. Dezember 2019 um 11:33)

  • Ich habe das so gemacht, dass ich in der Pubertät andere "coole" und beliebte Mädchen imitiert habe, z.B. den Bekleidungsstil bis dahin, dass ich mir sogar genau die gleichen Sachen gekauft habe. :m(:

    Ich habe die dann teilweise auch etwas gestalkt, glaube ich, :roll: :? weil ich herausfinden wollte, was die machen, wie sie reden..... Mimik und Gestik, alles habe ich nachgeahmt, das kam dann zum Teil auch nicht besonders gut an.

    Trotzdem habe ich es auf diese Weise zumindest geschafft eine Zeit lang ohne allzu viel Mobbing durch die Schule zu kommen.

    Immer wenn mir jemand sagt ich wäre nicht gesellschaftsfähig, werfe ich einen Blick auf die Gesellschaft und bin sehr erleichtert...... :d

  • Ja, kenne ich auch von mir. Allerdings habe ich es mit dem erwachsen werden dann geschafft die Teile der Rollen, die zu mir passten in das was ich als ich definiere so zu integrieren, dass sie mir nicht wiedersprechen, wenn das Sinn ergibt?

    Waren aber nie die Rollen, die beliebt gewesen wären, mehr etwas wie Streber, Putzfrau oder Abenteuer oder auch Militär, einfach weil diese Aufgaben meinen autistischen Bedürfnissen entsprachen und ich mich damit "richtig" und "passend" gefühlt habe.

  • Das fing morgens mit der Kleidung an (als "richtiges" Mädchen zB etwas geblümtes) und ging dann weiter mit Ausdrucksweise und wie ich auf die Aussagen anderer Menschen reagiert habe.

    Ich habe das so gemacht, dass ich in der Pubertät andere "coole" und beliebte Mädchen imitiert habe, z.B. den Bekleidungsstil bis dahin, dass ich mir sogar genau die gleichen Sachen gekauft habe. :m(:

    Ich habe die dann teilweise auch etwas gestalkt, glaube ich, :roll: :? weil ich herausfinden wollte, was die machen, wie sie reden..... Mimik und Gestik, alles habe ich nachgeahmt, das kam dann zum Teil auch nicht besonders gut an.

    Soetwas beschreibt Tony Attwood in diesem (englischsprachigen) Video.

  • Das kommt mir tatsächlich auch sehr bekannt vor. Als ich kleiner war habe ich oft die Rolle eines Charakters aus Filmen/Serien ´´übernommen´´ , um die Probleme etc. , die ich eigentlich habe , auszublenden , die der Charakter ja nicht hatte oder weil ich die Personen einfach ´´cool´´ fand. Mittlerweile mache ich das nicht mehr, und bin so vorgegangen wie @MangoMambo schon beschrieben hat und möchte eigentlich auch gar nicht mehr jemand anderes sein.

  • @Schneckentanz Dieses Stalken mache ich immer noch (geht im Internet auch gut...) :m(:

    @Input Ah, das Video hat sehr zu meiner Verdachtsdiagnose beigetragen. Aber ich habe gerade nochmal neue Punkte drin entdeckt. :thumbup:

    @MangoMambo und @Ms.Shield wie habt ihr das geschafft?
    Seitdem ich damit rechne, dass ich im Spektrum bin, fällt es mir leichter soziale "Unfälle" zu verkraften und mir Ruhepausen zu nehmen und auf Ordnung zu bestehen. Gleichzeitig fühle ich mich immer noch getrieben so angenehm wie möglich auf andere Menschen zu wirken. Das hat paradoxerweise dazu geführt, dass ich in "Standardsituationen" (beim Bäcker, bei der Begrüßung) stärker darauf achte, was ich sage und wie ich mich gebe als vorher, weil ich weiß, dass ich wirklich seltsam auf andere wirke, wenn ich zB die Bäckereiverkäuferin nicht grüße.

    Das vereinfacht solche Situationen, aber steigert auch den Stress. Und mit Freunden und Bekannten ist es noch komplizierter. Ich möchte ja mit ihnen reden und interagieren, aber dazu muss ich smalltalken, mit auf den Weihnachtsmarkt und auch mal eine größere Gruppe "ertragen". Und das ist meist super stressig. Aber wenn ich mich so gebe wie ich bin, läuft das manchmal echt gegen den Baum. Da kann ich auch gleich zuhause bleiben.. :?

  • wie habt ihr das geschafft?
    Seitdem ich damit rechne, dass ich im Spektrum bin, fällt es mir leichter soziale "Unfälle" zu verkraften und mir Ruhepausen zu nehmen und auf Ordnung zu bestehen. Gleichzeitig fühle ich mich immer noch getrieben so angenehm wie möglich auf andere Menschen zu wirken. Das hat paradoxerweise dazu geführt, dass ich in "Standardsituationen" (beim Bäcker, bei der Begrüßung) stärker darauf achte, was ich sage und wie ich mich gebe als vorher, weil ich weiß, dass ich wirklich seltsam auf andere wirke, wenn ich zB die Bäckereiverkäuferin nicht grüße.

    Das vereinfacht solche Situationen, aber steigert auch den Stress. Und mit Freunden und Bekannten ist es noch komplizierter. Ich möchte ja mit ihnen reden und interagieren, aber dazu muss ich smalltalken, mit auf den Weihnachtsmarkt und auch mal eine größere Gruppe "ertragen". Und das ist meist super stressig. Aber wenn ich mich so gebe wie ich bin, läuft das manchmal echt gegen den Baum. Da kann ich auch gleich zuhause bleiben..

    Also ich habe tatsächlich einfach gelernt, dass es okay ist , dass ich so bin wie ich bin und Leute mich auch so ´´mögen´´ , auch wenn sie wissen und merken, dass ich anders ticke als die meisten die sie kennen. Und ich habe mir einfach eingestanden, dass es noch stressiger und anstrengender ist, sich Eigenschaften von anderen anzugewöhnen, damit man nicht aneckt. Ich habe mich mehr mit mir auseinandergesetzt und dann ging es mir auch besser und ich habe dieses Charaktere nachahmen so weit es geht gelassen. Nur die Charakterzüge, die zu mir passen und mein wahres Ich wiederspiegeln , habe ich einfach behandelten.

  • Das kommt mir tatsächlich auch sehr bekannt vor. Als ich kleiner war habe ich oft die Rolle eines Charakters aus Filmen/Serien ´´übernommen´´ , um die Probleme etc. , die ich eigentlich habe , auszublenden , die der Charakter ja nicht hatte oder weil ich die Personen einfach ´´cool´´ fand.

    Vor der Zeit als ich Mitschülerinnen nachgeahmt habe, habe ich das mit den Charakteren aus Büchern gemacht. Ich habe als Kind in den "Fünf Freunde", "Geheimnis" und "Abenteuer" Büchern von Enid Blyton gelebt. Meine Mutter habe ich damit fast in den Wahnsinn getrieben..... :d :fun:

    Also ich habe tatsächlich einfach gelernt, dass es okay ist , dass ich so bin wie ich bin

    So war es bei mir auch, hat aber schon ziemlich lange gedauert. Auch als ich schon Kinder hatte, habe ich immer noch z.B. anderen jungen Müttern nachgeeifert und so versucht zu einer sozialen Anpassung zu kommen.
    Irgendwann wollte ich das dann nicht mehr. Ich habe angefangen mehr ich selbst zu sein, aber natürlich schon noch z.B. im Berufsleben versucht, mich sozial kompatibel zu geben. Privat habe ich das dann mehr und mehr gelassen, was allerdings dazu führte, dass ich auch fast gar keine Sozialkontakte mehr habe. Aber so ist es mir lieber als dass ich nur dafür gemocht werde, dass ich mich verstelle.

    Immer wenn mir jemand sagt ich wäre nicht gesellschaftsfähig, werfe ich einen Blick auf die Gesellschaft und bin sehr erleichtert...... :d

  • So ging es mir lange und auch jetzt noch kopiere ich Gestiken und Mimiken von meinen Mitmenschen. Ungewollt ahme ich sie nach. Früher hatte ich sogar verschiedene Persönlichkeiten, je nach dem, mit wem ich sprach.
    Das kleine Mädchen, die taffe Frau, der charmante Mann.
    Es ging soweit, dass ich dachte, ich hätte eine Dissoziative Persönlichkeitsstörung, Dabei war es nur eine Überlebensstrategie... Dass ich Transgender sein könnte, glaube ich aber immer noch. Ist wohl nicht unselten bei Autisten.

  • @Kieyras Ich habe in den letzten Wochen ein paar Videos über Dissoziative Persönlichkeitsstörung gesehen und habe mich auf eine gewisse Weise darin wiedergefunden. Das war sogar der Grund warum ich den Thread eröffnet habe :D Ich würde es bei mir aber auch unter Bewältigungsstrategie einordnen. Ich hatte auch eine Phase, in der ich glaubte trans zu sein. Da finde ichs beruhigend, dass viele Autisten wohl ebenfalls kein ausgeprägtes Geschlechtsempfinden haben (zumindest habe ich das in einem Thread gelesen).

  • @Mugwump

    Ich denke schon eher, dass es eine Bewältigungsstrategie als DPS ist. Als Teenie war ich mir nicht sicher, doch mittlerweile denke ich anders. Vorallem auch, weil ich sowas doch schon einige Male gelesen habe im Zusammenhang mit Autismus. Vermutlich imitieren auch NT ihre Mitmenschen, ist wahrscheinlich auch eine Art von Bindung oder so.

    Ich war mal mit meiner Mutter in Griechenland; abends, wenn wir essen gingen, zog ich ein Kleid an und war ganz weiblich. Tagsüber war eh nur Badehose Programm...
    Am Tag der Abreise trug ich dann wieder Jeans, Shirt und Flanellhemd. Sie war ganz irritiert ob des Wandels. :)

    Eine Kollegin, diagnostizierte AS, sagte mir, dass sie sich nicht besonders weiblich oder männlich fühlt. Es scheint ihr auch nicht wichtig zu sein.

  • In meiner Teenagerzeit auf dem Gymnasium hatte ich irgendwann aufgegeben mit dem Strom zu schwimmen, egal was ich machte, es war "uncool".
    Alle hatten eine Bobfrisur und ich liess mir die Haare wachsen, war viel praktischer, die Mädels mussten sich die Haare föhnen und ich machte einfach einen Zopf. Wenn ich, was selten war, mal auf eine Fete ging, machte ich die Haare auf und kam bei den Jungs gut an, womit ich wiederum damals nicht soviel anfangen konnte, es sei denn sie schraubten an Mofas :oops:

    Ich wurde wirklich erst "cool" für meine Mitschüler/innen, als ich so machte, wie ich wollte. Das waren aber auch die 1970er Jahre, zwar gab es auch damals das Markendenken a la Levis, aber vielleicht gab es damals noch mehr Raum für Individualität.

  • Ich wurde wirklich erst "cool" für meine Mitschüler/innen, als ich so machte, wie ich wollte. Das waren aber auch die 1970er Jahre, zwar gab es auch damals das Markendenken a la Levis, aber vielleicht gab es damals noch mehr Raum für Individualität.

    Die gleiche Erfahrung habe ich in den 2000ern auch noch gemacht. Alle meine Versuche, die anderen nachzumachen haben zwar am Gymnasium (im Gegensatz zur Grundschule) geholfen, nicht zu viel negative Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, aber wirkliches Interesse meiner Mitschüler an mir habe ich auch erst erlebt, als ich offen dazu gestanden habe, anders als sie zu sein.

    Meine Schule war aber auch eher alternativ und wir hatten Schüler aus allen möglichen Kulturen, sodass Marken und ähnliches weniger ein Thema waren.

  • Ich weiß nicht genau, ob es das gleiche ist, aber ich habe mich früher mit 2 verschiedenen Charakteren aus Filmen sehr verbunden gefühlt. Seit ich Kind war bin ich nun eine dieser Figuren in meinen Träumen und schon immer ist diese Figur im selben Alter geblieben. Sie ist also nie älter geworden. Durch diese männliche Figur und die dazugehörigen Träume, wo auch mein SI sehr stark eine Rolle spielt, habe ich schon immer meinen Frust und Verzweiflung mit dem realen Leben verarbeitet. Ich bin froh das ich diesen Weg gefunden habe, weil ich nicht weiß wie ich sonst meine Not hätte bearbeiten sollen. Für mich war und ist das Therapie. Noch heute träume ich diese Geschichten, teilweise auch tagsüber. Während es mir gut geht, träume ich so gut wie gar nicht. Ich hänge dabei in bestimmten Szenen "fest" und schlafe dann. Wenn es mir aber schlecht geht, träume ich fast die ganze Nacht und viel tagsüber davon und dann weiß ich, dass es wieder kritisch wird und ich was tun muss. Durch diese Träume aber habe ich vor allem an Emphathie gewonnen. Ich spiele diese Szenen ja im Kopf durch. Meiner Figur geht es dabei fast immer schlecht und sie wird aber durch eine starke Familie unterstützt und geliebt. Durch diese fiktive Handlung, die oft auch von Serien und Filmen abgeguckt sind, habe ich meine kognitive Empathie gelernt. Ich behandle dadurch Menschen so, wie man das im besten Fall macht, weil man sonst eben wie meine Figur im Traum leidet. Und das will ich ja nicht.
    Meine Therapeutin meinte dazu auch, dass es eine Bewältigungsstrategie ist und das gut so ist. Auch wenn die Figur nicht das gleiche Geschlecht hat wie ich im realen Leben.

    Ich habe daher auch schon ein paar Mal darüber nachgedacht, ob ich wohl gerne ein Mann wäre, aber letztendlich ist es nicht der Fall. So gerne ich also im Traum meine Rolle spiele, so unwichtig ist es mir im normalen Alltag. Allerdings fühle ich mich auch nicht als sehr weiblich. Ich bin also keine die ihre Nägel macht, ihre Klamotten oder Haare wichtig sind und sowas.

    Einmal editiert, zuletzt von Pummelchen (5. Januar 2020 um 20:19)

  • @Pummelchen

    Hyperrealistische Träume und Vorstellungen, die ich dann auch tagsüber auslebe, habe ich auch. Nicht mehr so viel was meinen eigenen Charakter angeht (ich habe mir früher öfter vorgestellt Zauberkräfte zu haben oder ein bestimmtes Schicksal zu haben oder so), aber immer noch viel Gespräche mit anderen. Ganz schlimm war es bis jetzt nach Trennungen von Personen und Dingen, an denen ich sehr hing. Da habe ich dann geträumt, dass ich die Personen berühre oder mir vorgestellt, dass ich die Dinge tun will, die ich nicht tun darf/kann (manchmal sehr banale Sachen wie ein bestimmtes Hobby).

  • Durch diese männliche Figur und die dazugehörigen Träume, wo auch mein SI sehr stark eine Rolle spielt, habe ich schon immer meinen Frust und Verzweiflung mit dem realen Leben verarbeitet.

    Das ist bei mir ähnlich, ich habe mir auch Figuren aus Serien genommen und eigene Geschichten damit erfunden, nur war ich nicht selbst die Hauptperson, sondern ein Beobachter oder bin von einer Person in die andere gesprungen (mir vorgestellt, wie eine andere Person in der Geschichte meine Hauptperson sieht). Im Lauf der Zeit habe ich mich von dem Serienvorbild sehr weit entfernt und erfinde auch ganz eigene Geschichten.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • @Pummelchen

    Krankhaft, puh, ich weiß auch nicht. Diese starken Tagträume waren mal so stark, dass ich mich deswegen in Therapie begeben habe. Natürlich spielten auch meine damaligen Gefühle mit rein. Seitdem ich aber aktiver bin und weiß, dass es wirklich nur Vorstellungen sind und ich damit meine Erlebnisse verarbeite, belasten sie mich nicht mehr so stark.

  • Ich hatte eine Zeit, wo ich mir immer wieder vorgestellt habe, Beyoncé zu sein, und so selbstbewusst und attitüdenhaft durch die Straßen zu laufen. Sollte ich eigentlich mal wieder machen :d

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