Ziele erreichen, indem man sich selbst darauf "programmiert"

  • Ich möchte mal fragen, wie das bei euch ist. Da ich eine ADS-, aber keine AS-Diagnose habe. Bei ADS heißt es ja immer, man könne Ziele nur schlecht erreichen, breche ständig etwas ab, denke nicht an die Zukunft etc.

    Bei mir ist es so, wenn ich etwas erreichen will, dann hat das einen guten Grund und dann bleibe ich da auch dran. Ich kann mich regelrecht programmieren. Ein Beispiel ist, dass ich aktuell weniger rauchen will und mir vorgenommen habe, nur in bestimmten Zeitabständen zu rauchen, die ich nicht unterschreiten darf. Das mache ich seit ein paar Wochen und es ist für mich wie ein Gesetz. Ich hab eine App, mit der ich die gerauchten Zigaretten zähle und die mir anzeigt, wie lange die letzte zurück liegt. Wenn der Zeitraum, den ich mir selbst vorgegeben habe, noch nicht rum ist, dann rauche ich nicht (bis auf wenige Ausnahmen). So hat es sich jetzt eingespielt, dass ich fast jeden Tag dieselbe Anzahl an Zigaretten rauche.

    Das Gleiche, als ich einmal ein paar Kilogramm Gewicht abnehmen wollte. Ich hab mich in einem Diätforum angemeldet und mich zu allen möglichen Methoden belesen. Ich habe aussortiert, was mir nicht passend erschien, außerdem habe ich auch verschiedene Bücher zum Thema gelesen. Am Ende habe ich mich für eine Methode entschieden und das dann über ein paar Monate durchgezogen, bis ich das Gewicht, das ich angestrebt hatte (mein normales Wohlfühlgewicht, dass ich verloren hatte) erreicht hatte.

    Wenn ich ein Ziel konsequent verfolge, dann liegt das daran, dass ich für mich selbst eine Entscheidung getroffen habe. Und dann weiche ich davon in der Regel auch nicht ab, es sei denn, es ändert sich etwas, was es sinnvoll macht, das Ziel zu ändern oder davon abzulassen. Bei einem selbstgesetzten Ziel sind die Mittel, es zu erreichen, für mich wie gesagt wie ein Gesetz.

    Wie ist das bei euch?

  • Bei mir leider nicht so. Projekte, für die ich Selbstdisziplin bräuchte, funktionieren nicht. Ich kann nur umsetzen, was ich entweder gern tue, oder wenn Druck von außen kommt. Der muss dann aber auch beständig da sein.
    Ich würde mir etwas mehr von deiner Konsequenz wünschen.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • Mit dem Rauchen aufgehört habe ich von einem Tag auf den anderen, das war am Ende die einzige Art wie es bei mir geklappt hat. Anfangs musste ich natürlich ständig dem Drang widerstehen eine rauchen zu wollen, aber in dem Fall hatte ich genug Disziplin und rauche nun seit 6,5 Jahren nicht mehr.

    Bei anderen Dingen habe ich leider nicht so viel Disziplin, ich möchte gerne abnehmen und ich wäre gerne fitter/kräftiger. Eigentlich müsste ich dafür zu meinen Trainingseinheiten im Studio (2 x pro Woche) noch zusätzlich zu Hause trainieren. Leider kann ich mich dazu nicht aufraffen. Und mit dem Essen ist das auch so eine Sache. Ich schaffe es zwar mich einzuschränken, sodass ich nicht weiter zunehme, aber ich schaffe es nicht so wenig zu essen, dass ich abnehme. Meine Ziele scheinen mir unerreichbar zu sein.

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    Glaub nicht alles, was du denkst.
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  • Ich wollte damit nur sagen, ich habe mit verschiedenen Methoden versucht mit dem Rauchen aufzuhören - Kaugummis, Pflaster, Hypnose und mit Reduzieren und nichts davon hat geholfen.

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    Glaub nicht alles, was du denkst.
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  • Ich finde auch, daß die wohl beste Methode, nicht mehr zu rauchen, die ist, abrupt von einem Tag auf den anderen aufzuhören - ohne jegliche Zwischenschritte.

    Ich selbst habe nach meinem Herzinfarkt ohne jeden Übergang einfach mit dem Rauchen (von Zigarillos/Zigarren) aufgehört. Jedoch muß ich hinzubemerken, daß ich nicht abhängig war, sondern wirklich reiner Genußraucher, der längst nicht täglich rauchte und schon gar nicht über die Lunge, bei Zigarillos ja auch nicht so angebracht.

  • Im Prinzip kann ich mich auch sehr worauf fokusieren, solange die Depressionen und co es zulassen. Aber wenn erstmal was mein Interesse geweckt hat, gehe ich davon nicht so schnell weg.

    Grüße aus der Pegasus Galaxie. :)

  • Grundsätzlich geht es mir auch so, und ich kann eigentlich jedes Ziel erreichen. Nun kommt aber das große aber, nur solange ich in einer mental guten/soliden Verfassungen bin. Sobald mein Kartenhaus wankt, ich nur gestresst bin und einfach völlig platt bin, kann ich kein Ziel mehr richtig verfolgen. Dann gehen nur noch langjährige Routinen und aufs Essen bezogen nur noch essen was mir zwischen die Finger kommt, ich hab dann keinen Gedanken mehr für etwaige Entscheidungen mehr frei.
    Ich kann dann z.B. auch nicht mehr lernen wenn ich mir das vorgenommen habe, oder Bewerbungen schreiben, oder irgendetwas tun zu dem ich mich sonst ohne große Mühen motivieren kann. Und dann gebe ich mich meist für einige Zeit völlig auf, bis ich wieder in einer besseren Verfassung bin.

  • Wenn ich ein Ziel konsequent verfolge, dann liegt das daran, dass ich für mich selbst eine Entscheidung getroffen habe. Und dann weiche ich davon in der Regel auch nicht ab (...) Wie ist das bei euch?

    Beim Rauchen war das so bei mir, dass ich mein "System" hatte: Eine 20-er Packung muss mehr als einen Tag halten. Beispiel: Ich habe die Packung morgens nach dem Frühstück angebrochen, dann musste sie bis am Tag danach nach dem Mittagessen halten. Damit kam ich über Jahrzehnte auf ca. 15 Zigaretten pro Tag, und es gab nicht die bei Suchtrauchern (das sind ja eigentlich alle Raucher, den Genussraucher, von dem @sempron oben schreibt, zweifle ich deutlich an) sonst übliche langsame Erhöhung.

    Auch beim Alkohol ist es ähnlich. Ich überschreite die als unbedenklich geltende Menge fast nie, habe stets ein bis zwei alkoholfreie Tage die Woche und trinke in der katholischen Fastenzeit gar keinen Alkohol. Und davon können mich dann auch keine sozialen Events abhalten.

    Also: Ein festes System hilft mir, mit den Dingen umzugehen. Ich esse egelmäßig, ich mache regelmäßig Sport usw. Fällt das nicht irgendwo unter Routinen? Ich fühle mich nämlich auch sofort unwohl, wenn ich meine Systeme / Routinen nicht mehr funktionieren.

    "Ich kämpfe nicht, ich behaupte mich." - "Ich will nicht siegen, ich will sein." (Georg Kaiser)

  • Früher war ich der Meinung, ich könne jedes Ziel erreichen, wenn ich nur wolle. Das hat erstaunlich viele Jahrzehnte gut geklappt. Angst kannte ich lange nicht, ich war laut Aussagen anderer Menschen sehr mutig und es war tatsächlich so, dass ich mich auf Ziele und Aufgaben "programmieren" konnte. Ich habe so gut wie nie an mir gezweifelt und war vorher überzeugt davon, dass ich das erreichen kann, was ich anstrebe. Es war meist nicht mal eine wirkliche Entscheidung, sondern es schien schon vorher festzustehen "ich muss die bestmögliche Note in der Prüfung XY schreiben", "ich muss das Bestmögliche geben, das ich geben kann", "ich werde beweisen, dass ich es kann" etc. Das war immer mein Antrieb.

    Seitdem ich das Burnout hatte bzw. die psychischen Zusammenbrüche und schwere Depressionen habe ich gemerkt, wie es auch gehen kann: Ich konnte nicht mehr wollen. Ich wollte Dinge, aber es ging nicht mehr, weil ich total am Ende war. Ich konnte mich nicht mehr programmieren, weil mein Kopf und mein ganzes Ich ein einziger Trümmerhaufen waren.

    Ich könnte mich mittlerweile vielleicht sogar noch programmieren, aber irgendwie steht nun immer etwas davor, dass sich fragt, was das bringen soll und ob ich das überhaupt will. Früher programmierte ich mich meist auf die Ziele anderer Menschen oder eingeimpfter eigener Ziele. Es ging darum, Jobs zu bekommen oder Wohnungen oder neue Kenntnisse sich aneignen und Prüfungen erfolgreich abzuschließen. Irgendwie kann ich das nicht mehr, dieses blinde "nach oben hechten". Es kostet mich nicht nur viel Energie, sondern lässt mich mit einem Gefühl zurück, was das eigentlich alles soll.

    Ich glaube, dass ich mittlerweile erst im Bauch überzeugt sein muss, dass ein Ziel das Richtige ist. Dann könnte ich mich auch wieder programmieren. Aber dieses Bauchgefühl kommt einfach nicht. Und das "Funktionieren-Gefühl" erwies sich als der falsche Weg. So hänge ich also im Nichts.
    Für mich war dieses "auf Ziele programmieren" ein sehr kopflastiger Weg, um durchs Leben zu kommen und dabei mein Bauchgefühl und mein Ich vollkommen zu übergehen. Es war mir dabei nützlich, zu überleben und es ist sicher auch eine große Leistung, so zielstrebig und zäh und diszipliniert zu sein. Mittlerweile bin ich aber nicht mehr stolz darauf, dass ich das kann/konnte, weil ich weiß, dass ich es nur kann, da mir das Bauchgefühl und die Sicherheit in irgendetwas anderes fehlt. Also musste ich mir permanent beweisen, dass ich alles kann, was ich will. Ob ich das, was ich dann hatte, überhaupt wollte, stand nie zur Debatte. Nun merke ich rückblickend: All das, was ich mir beweisen musste, wollte ich im Kern eigentlich nie. Ich habe in jeder Hinsicht auf das falsche Pferd gesetzt (RW).

    Rückblickend würde ich sagen, dass ich so gut wie nie gejammert habe, sondern einfach nur das Ziel sah und wusste, dass ich dort ankommen werde. Ich habe immer sehr viel dafür gegeben, aber es kam mir nicht in den Ziel, diese Ziele nicht mehr anzustreben.

    2 Mal editiert, zuletzt von FruchtigBunt (25. November 2019 um 15:24)

  • Suchtrauchern (das sind ja eigentlich alle Raucher, den Genussraucher, von dem @sempron oben schreibt, zweifle ich deutlich an) sonst übliche langsame Erhöhung.

    Doch, ich sage das schon mit Überzeugung: Bei mir war es keine Sucht.

    Ich habe nur alle paar Tage mal 1 oder 2 Zigarillos geraucht. Dann wieder Wochen überhaupt nicht, ja sogar bisweilen monatelang gar nicht. Es war eher damit vergleichbar, sich mal etwas zu gönnen, wie "ich gönne mir jetzt dieses Buch" usw.

    Daher auch überhaupt kein Problem für mich, von einem Tag zum anderen komplett damit aufzuhören.

  • Ich glaube, dass ich mittlerweile erst im Bauch überzeugt sein muss, dass ein Ziel das Richtige ist. Dann könnte ich mich auch wieder programmieren. Aber dieses Bauchgefühl kommt einfach nicht. Und das "Funktionieren-Gefühl" erwies sich als der falsche Weg. So hänge ich also im Nichts.

    Ich dachte früher auch "wenn ich diesen Job schaffe, schaffe ich alles", bin immer mit dem Kopf durch die Wand (RW), ohne Rücksicht auf Verluste und habe ohne groß nachzudenken alles versucht umzusetzen und mit Konsequenz verfolgt.

    Der große Zusammenbruch hat mich gelehrt, dass das alles keinen Sinn hat, dass das mir beigebrachte nicht funktioniert und somit war ich für Jahre kaputt und unfähig mich in eine definierte Richtung zu bewegen, eben - weil es keinen Sinn hatte. Ich habe weder mich noch das Außen verstanden. Seit ich die Zusammenhänge verstehe, das Verstandene in mein Leben integriere und die Konsequenzen wiederum als direkte Reaktion darauf erlebe ist der Sinn wieder da, bin Forscher in eigener Sache.

    Inzwischen erlebe ich es wieder wie @Lefty, wenn ich einmal damit angefangen habe und es läuft, dann führe ich es fort.
    Mir hilft dabei mein Drang zu ritualisieren, so gesehen ist das eine Gabe - im März wusste ich von dieser Eigenschaft noch nicht sonderlich viel und hätte sie höchstens als störenden und zu bekämpfenden Tick angesehen.

    Was ich gerade feststelle: Manchmal bedarf es einer Anpassung von programmierten Routinen und Automatismen. Wie beispielsweise jetzt, wenn der gewachsene Bauch immer auf das Touchpad des Notebooks drückt und ungewollt Klicks auslöst. Schritt eins war eine Routine um regelmäßig zu essen, Schritt zwei muss dies nun regulieren :]

  • Zitat von Hutmacher

    Seit ich die Zusammenhänge verstehe, das Verstandene in mein Leben integriere und die Konsequenzen wiederum als direkte Reaktion darauf erlebe ist der Sinn wieder da, bin Forscher in eigener Sache.

    Neben dem "wenn es läuft, führe ich es fort" und dem Ritualisieren: Kannst du den obigen Satz noch etwas erläutern bzw. praktisch erklären? Ich würde das auch gerne lernen.
    Bei mir ist es so, dass ich ja z. B. so langsam erkenne, dass es wichtiger ist, auf das Bauchgefühl zu hören, als immer nur fremde Ziele (die in mir sitzen) zu befolgen, aber es ändert sich nicht sonderlich viel, seitdem ich das verstanden habe, weil es mir immer noch sehr schwer fällt auf mein Bauchgefühl zu hören. Wie hast du diese Erkenntnisse in dein Leben integriert und welche Konsequenzen meinst du, die dir einen Sinn aufzeigen?

    Das Ritualisieren ist mir z. B. irgendwie suspekt, weil man dann vielleicht auch einfach Dinge aus Gewohnheit tut, obwohl die einem gar nicht (mehr) gut tun. :roll:

    Die Methode "wenn es läuft, führe ich es fort" finde ich interessant, weil das eher dazu ermutigt, es überhaupt mal in der Praxis zu probieren und nicht vorher alles vorausdenken zu wollen. Aber ich denke, bei mir würde das meiste laufen, wenn ich mich anstrenge und wieder im Funktionieren-Modus bin. Irgendwie ist das "es läuft" bei mir kein Garant dafür, dass mir etwas gut tut und ich davon überzeugt bin. Bei mir ist 30 Jahre lang alles gelaufen, aber ich habe mich trotzdem immer wie im falschen Film (falscher Beruf, falsche Umgebung etc.) gefühlt, weil ich nie irgendwo Halt fand.

    Du schreibst oben von Jahren, die du danach kaputt warst. Ich befürchte, dass es bei mir ebenfalls länger dauern könnte, bis ich aus diesem Funktionieren-Modus rauskomme und mich selbst wahrnehme und das, was mir gut tut (also dieses Bauchgefühl erlernen). Bis jetzt habe ich außer "Musiktherapie" und "einen Hund betreuen" (was ich beides noch nicht mache) keine Ahnung, wie ich das mit dem Bauchgefühl besser hinbekommen könnte. Wobei ich zwischendurch immer wieder versuche, herauszufinden, wie ich mich fühle, also ob ich z. B. friere, Hunger habe, auf Toiilette muss und wie meine Stimmung ist, d. h. welche Bedürfnisse ich gerade habe und vor allem, ob ich erschöpft bin. All das geht nur im Schneckentempo voran bzw. es geht immer wieder zurück.

  • @FruchtigBunt
    Im wesentlichen waren die ersten Schritte bedingungslose Akzeptanz meiner Selbst und darauf hin das Beantworten der folgenden Fragen:
    1. Welche Bedürfnisse habe ich?
    2. Was ist notwendig um meine Bedürfnisse zu befriedigen?

    Dazu gehörte auch der Entschluss, mich von wirklich allem zu trennen was mir hierbei im Weg steht, falls notwendig (wenn meine Andersartigkeit z.B. von meiner Partnerin und der Familie nicht akzeptiert werden würde). Das war z.B. auch die Voraussetzung um mir Stimming wieder zu erlauben und mich nicht schlecht dabei zu fühlen wie die 30 Jahre davor, seit es mir ab meiner Kindheit aberzogen und verboten wurde.
    Dass ich mir herausnehme mich abzuschotten und zurückzuziehen und dass ich mich in keinster Weise mehr in ein "man" zwängen lasse, weil "man" das nicht darf, oder "man" sich so oder so verhält. Letztendlich ging es um alles oder nichts, die andere Richtung wäre ein Abschied von meinem Leben gewesen...

    Die Zusammenhänge habe ich erstmals durch das Forum hier verstanden, weil es scheinbar doch noch mehr meiner "Art"* gibt - kombiniert mit den Fragmenten meiner Erinnerung hat es mir geholfen zu erkennen wie ich von diesem "Kaputt" wieder in Richtung normal komme.

    Bis ich dann irgendwann festgestellt habe, was dieses Ding auf meinem Hals alles kann und schon immer konnte, dass es ein gigantisches Archiv beherbergt auf welches mir "nur" der Zugriff fehlte, weil ich über Jahre nie wirklich aus der Überlastung herausgekommen bin. Ich hatte ja nie gelernt meine Bedürfnisse und Eigenarten zu erkennen, oder einzufordern. Ich habe mein Leben lang auf mein Umfeld gehört und versucht wie es zu leben, habe versucht ihre Leben zu kopieren und bin regelmäßig daran zusammengebrochen...

    Was das Ritualisieren angeht: ich habe erkannt, wie Rituale mir Sicherheit geben- weil sie entgegen meiner Umwelt eine Ordnung haben, planbar und vorhersehbar sind. Vieles, was ich davor nur mit Mühe irgendwie geschafft habe, packe ich in ein Mikro-ritual, welches seinen Ablauf hat, aber durch die kurze Dauer und Sinnhaftigkeit von niemand so leicht zerstört werden kann. Wenn meine Frau z.B. die Bettdecke schon zusammengelegt hat, falte ich sie trotzdem nochmal nach meinem Ablauf und lege sie an die gleiche Stelle wie immer, beiße immer an der gleichen Stelle auf dem Weg zur Arbeit in mein Frühstück. Jeder Morgen hat seine wiederkehrenden Teilabschnitte, welche ich in der Reihenfolge und zeitlichen Anordnung aber weitestgehend flexibel halte. Das hilft mir dann den Tag mit einem ruhigen Gefühl anstatt einem unangenehmen Pulsieren im ganzen Körper zu beginnen.

    Es ist alles ein Erkennen, basierend auf der Akzeptanz und dem Willen mein Leben endlich in den Griff zu bekommen, ich habe noch ein paar Jahre vor mir. Die will ich einfach nicht vergeuden...

    Du darfst mich gerne zu allen Punkten und noch vielen mehr löchern (RW), wenn du magst.

    *Edit: Ob AS auf mich zutrifft weiß ich nicht, ich habe keine Diagnose. Das "Handbuch" scheint jedoch zu meinem Betriebssystem zu passen

    2 Mal editiert, zuletzt von Hutmacher (25. November 2019 um 22:14)

  • @Hutmacher
    Vielen Dank für die ausführlichen Erläuterungen.

    An das Thema "eigene Bedürfnisse wahrnehmen" habe ich mich auch in den letzten Monaten/Jahren angenähert, allerdings ist das bei mir immer noch sehr stark kopflastig. Ich bin z. B. immer noch dabei, herauszufinden, welches Bedürfnis hinter meinen Gefühlen steckt, aber dazu muss man die Gefühle auch erstmal wahrnehmen und unterscheiden können und nicht in einem Gefühlswirrwarr untergehen. Seitdem mir das ansatzweise gelingt, habe ich das nächste Problem: Mein Umfeld akzeptiert nicht, dass ich Bedürfnisse habe. :| Dies wiederum hat aber dazu beigetragen, dass ich erkenne, wie wichtig es ist, dass ich trotzdem gut zu mir bin und diese Bedürfnisse, die mein Körper/mein Ich mir zeigt, wichtig sind. Momentan ist es dennoch ein trauriger Prozess, dass ich jetzt dabei bin, die Bedürfnisse auch gegenüber anderen Menschen auszusprechen, aber dabei sehr stark zurückgewiesen werde.
    Es gibt mir aber etwas Sicherheit, dass sich diese Methode in deinem Fall als hilfreich erwiesen hat.
    Ich habe dennoch sehr stark mit Schuldgefühlen zu kämpfen bzw. dass ich z. B. denke, ich hätte es nicht verdient, dass meine Bedürfnisse erfülllt werden, so lange ich nichts mehr leiste und nichts tauge (also immer noch die alte Programmierung und das Funktionieren :shake: ). Ich finde es einfach sehr schwierig, das zu erlernen, was andere vermutlich nebenbei mitbekommen haben.

    Mit der bedingungslosen Akzeptanz von mir selbst klappt es nicht sehr gut. :oops: Oft ist es so, dass ich entweder sehr überzeugt von mir bin oder vollkommen zerstört und ich mich gar nicht mehr akzeptieren kann. Mir fällt es sehr schwer, anzunehmen, dass irgendwie 30 Jahre meines Lebens eine Farce waren oder ein Gang in eine total falsche Richtung. Ich weiß eigentlich überhaupt nicht richtig, wer ich selbst bin. Ganz langsam muss ich nun versuchen, herauszufinden, was mich eigentlich ausmacht (neben dem 'stark sein' und 'alles erreichen können'). Durch die Depressionen ist das zusätzlich verschüttet gegangen.

    Abstand nehmen vom "das macht MAN so nicht": Ja. Das ist etwas, was mir seit der Asperger-Diagnose etwas leichter fällt. Ich mache mir weniger als zuvor einen Kopf, ob ich umständlich wirke oder zu intelligent oder zu lahm oder zu dumm etc. Da fällt es mir irgendwie doch leichter als vorher mich mit bestimmten Verhaltensweisen (die ich ja auch nicht durchgängig zeige) anzunehmen. Vorher war wirklcih eher das Bild da, wie ich zu sein habe, damit man mich auf der Arbeit akzeptiert oder damit meine Familie nichts Schlechtes über mich denkt (haben sie so oder so gemacht). Seitdem ich praktisch alles verloren habe, merke ich, dass ich mich das auch nicht stabilisiert, wenn ich weiß, dass ich die Erwartungen anderer erfülle, denn die Gesellschaft hat mich nicht aufgefangen, als es mir so schlecht ging und auch immer noch geht. Stabilität kann nur ich selbst mir geben und das geht am Besten, wenn ich genügend Energie habe und es sich richtig anfühlt, so wie ich mich verhalte und wie ich bin.

    Ich denke mir häufiger: Ich habe nicht mehr so viele Jahre vor mir (obwohl ich ja noch nicht so alt bin, aber man weiß nie, wann es zu Ende ist) und ich will mein Leben nicht länger so vergeuden, dass ich Dingen hinterherrenne und Erwartungen erfülle, die gar nicht meine eigenen sind und mich dadurch auch noch kaputt mache. Das Schlimme ist für mich, dass ich das so spät erkenne. Als ich 18 war, bekam ich ein Glas mit Sand und Steinen gefüllt geschenkt. Der Schenker sagte mir dazu, dass das Wichtigste im Leben sei, dass man die wichtigen Dinge (die Steine) zuerst ins Glas legt. Dann sei auch noch genügend Platz für den Sand. Wenn man es andersherum macht (erst den Sand in das Glas und dann die großen Steine rein) gelingt es nicht mehr gut.
    Und nun, über 15 Jahre später muss ich erkennen, dass ich genau die falschen Steine zuerst in das Glas gelegt habe. Ich könnte mich killen deswegen. Aber woher hätte ich es wissen sollen, wenn man in einer Familie aufwächst, in der man nichts lernen konnte bzw. ich von meiner Struktur her nicht geeignet bin, über Beobachtungen zu lernen. Ich hatte damals bei diesem Geschenk auch keinen blassen Schimmer, wie das in der Realität aussehen sollte. Mir bläute man immer nur ein, dass ich die Schule gut abschließen müsse und etwas studieren müsse, damit ich mal abgesichert sei. Das sind die Steinbrocken, die ich ins Glas gelegt habe. Ich dachte, es sei besonders lobenswert, dass ich mich so verhalte. Einfach nur das Dümmste, das man tun konnte. :shake:

    Ich verstehe nicht ganz, wieso du schreibst, dass du dein Leben in den Griff bekommen willst. Wenn du mehr dich selbst finden willst, geht es doch darum, etwas den Griff zu lockern, oder? Vielleicht habe ich es aber auch falsch verstanden.

    Sorry, dass das gerade mehr ein Monolog ist, aber mir haben deine Gedanken sehr geholfen, um über das Thema nachzudenken und sie haben mich darin bestärkt, den Weg weiter zu gehen.

  • Zitat von Fruchtigbunt

    Ich verstehe nicht ganz, wieso du schreibst, dass du dein Leben in den Griff bekommen willst. Wenn du mehr dich selbst finden willst, geht es doch darum, etwas den Griff zu lockern, oder? Vielleicht habe ich es aber auch falsch verstanden.

    Wechsel der Perspektive vom Außen zum Innen. Von "man" zu ich. Von Müssen zu Wollen. Hin zu MEIN Leben, MEINE speziellen Bedürfnisse. Ich bin Herr über mein Leben, nehme es selbst in die Hand..

    Das ist die "Magie" der "Selbstprogrammierung", finde ich.

  • @Hutmacher
    Ach so. Jetzt verstehe ich es. Bei "sein Leben selbst in die Hand" nehmen erkenne ich den positiven Bezug zu sich selbst. "Mein Leben in den Griff bekommen" klang für mich nach diesem "ich muss wieder funktionieren", deshalb dachte ich, du willst doch wieder hin zum 'Ich muss funktionieren'.

    Dann könnte man sich sozusagen auch so programmieren, dass es nicht schädlich ist. :nod: Man würde sich dann vom "ich muss mein Leben in den Griff bekommen = Funktionieren-Modus" wegprogrammieren und zu einem "ich nehme mein Leben in die Hand und achte dabei darauf, was für mich stimmig ist = Erleben-Modus" hinprogrammieren.
    Das wäre gut, wenn das ginge. Bis ich das programmieren kann, ist es vermutlich harte Arbeit, das erstmal annehmen zu können. Vielleicht ist dann die letzte Stufe, dass sich das verselbstständigen lässt und es programmierbar wird, so wie die ganze Funktionieren-Müssen-Sache sich ja auch irgendwann so in micih eingebrannt hatte, dass sie von selbst wie ein Programm ablief.

    Ich glaube, ich habe gerade etwas Wichtiges verstanden. Ich muss mich umprogrammieren. Es hat sich eingebrannt und verselbstständigt, weil ich keine Alternativen hatte. Jetzt muss ich mir die Alternativen erst mühsam erlernen und ganz hart dafür arbeiten, dass sie sich auch irgendwann verselbstständigen. Ich stelle es mir sehr entlastend und glückvoll vor, wenn man irgendwann mal dastehen würde und sich so programmieren könnte, dass man von selbst und ohne jegliche Anstrengung dafür sorgen kann, dass es einem gut geht und man aus dem Bauch heraus entscheiden kann, was dafür zu tun ist.

    Vielen Dank erstmal für die Anregungen. :thumbup:

  • Grundsätzlich geht es mir auch so, und ich kann eigentlich jedes Ziel erreichen. Nun kommt aber das große aber, nur solange ich in einer mental guten/soliden Verfassungen bin. Sobald mein Kartenhaus wankt, ich nur gestresst bin und einfach völlig platt bin, kann ich kein Ziel mehr richtig verfolgen. Dann gehen nur noch langjährige Routinen und aufs Essen bezogen nur noch essen was mir zwischen die Finger kommt, ich hab dann keinen Gedanken mehr für etwaige Entscheidungen mehr frei.

    Genau so ist es bei mir auch.

    Und dann gebe ich mich meist für einige Zeit völlig auf, bis ich wieder in einer besseren Verfassung bin.

    Geht das von allein, dass du wieder in eine bessere Verfassung kommst? Einfach durch "Nichtstun"? Gerade bin ich wieder mal ziemlich am Limit und dann bin ich hin- und hergerissen, ob ich besser radikal alles, was Stress machen könnte, eliminiere (mit der Folge, dass ich hinterher eine Menge aufzuarbeiten habe und/oder sich negative Konsequenzen ergeben) oder ob ich meine verbleibende Rest-Energie darauf verwende, in eine bessere Verfassung zu kommen. Meist ist es eine Mischung aus beidem und ich bin dabei dauer-gestresst.

  • Bei mir ist das ähnlich wie bei @Lefty. Wenn ich ein Ziel habe, dann suche ich mir Informationen zusammen (Bücher, Online Recherche, Foren, etc.) um den Weg zu finden, der für mich stimmig ist, um dieses Ziel zu erreichen. Manchmal stelle ich dabei auch fest, dass ich dieses Ziel so eigentlich gar nicht will.

    Sorry, ich muss jetzt halt wieder auf das Beispiel Rauchen zurückkommen. Eigentlich möchte ich schon gerne ganz aufhören, aber ich habe festgestellt, dass ich sowohl Nichtraucher, wie auch Ex-Raucher mit ihrem ständig erhobenem Zeigefinger, ihrem Nasenrümpfen, ihren blöden Bemerkungen, ihren Hinweisen auf meine Gesundheit, einfach nicht verknusen kann. Und das schon gar nicht von einem übergewichtigen, kurzatmigen Pommesesser mit künstlichen Knie- und Hüftgelenken. Zu dieser Sorte Mensch möchte und werde ich nie gehören. Was also tun? Mein Ziel begraben und aus Protest weiterqualmen? Nein. Ich ändere mein Ziel. Ich arbeite nicht auf das Ziel "Ex-Raucher" hin, sondern auf das Ziel "Raucher mit Rauchpause". Darauf kann ich guten Gewissens hinarbeiten. Und wenn ich nur eine Zigarette im Jahr rauche... ich darf das ohne das Gefühl versagt zu haben, denn ich bin und bleibe Raucher. :d

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