Autismus auf dem ersten Arbeitsmarkt

  • Ich finde den Ansatz sehr gut, leider gibt es diese Firma nur in Berlin. Es müsste bundesweit ähnliche Unternehmen geben, die Autisten in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln oder auch beispielsweise in eine reguläre Ausbildung.
    Es müsste vermieden werden, dass jungen so häufig geraten wird, in ein Berufsbildungswerk zu gehen, obwohl die meisten das gar nicht möchten.
    Einfach weil sich Berater keine Arbeit machen wollen.

  • Es müsste vermieden werden, dass jungen so häufig geraten wird, in ein Berufsbildungswerk zu gehen, obwohl die meisten das gar nicht möchten.

    Was ist an einem Berufsbildungswerk verkehrt?
    Hast du da bestimmte Erfahrungen?
    So weit ich das verstanden habe, soll so ein Ding Leuten die es schwerer haben und mehr Schutz und Unterstützung brauchen helfen das zu lernen was andere auch lernen, aber eben mit mehr Toleranz etc. Danach sollten sie den gleichen Ausbildungsstand haben wie andere auch, aber so genau hab ich mich damit noch nicht befasst.
    Vielleicht kannst du was dazu sagen.

    Go bad or go home!

  • Was ist an einem Berufsbildungswerk verkehrt?
    Hast du da bestimmte Erfahrungen?
    So weit ich das verstanden habe, soll so ein Ding Leuten die es schwerer haben und mehr Schutz und Unterstützung brauchen helfen das zu lernen was andere auch lernen, aber eben mit mehr Toleranz etc. Danach sollten sie den gleichen Ausbildungsstand haben wie andere auch, aber so genau hab ich mich damit noch nicht befasst.
    Vielleicht kannst du was dazu sagen.

    Nein, ich habe keine eigenen Erfahrungen. Habe es nur schön häufig von negativen Erfahrungen gehört. Viele berichten, dass man dort sehr defizitorientiert arbeitet, sehr begrenzte Berufswahl hat, Machtstrukturen erlebt, die es so in normalen Betrieben nicht gibt. Es ist einfach eine Parallelwelt, die häufig eher in Behindertenwerkstätten führt, da sie eng mit diesen zusammenarbeiten.
    Ic

  • Behindertenwerkstätten werden oft ihrem Auftrag nicht gerecht und suchen dann die Fehler bei den einzelnen Teilnehmern. Es mag auch sehr gute geben, die jedoch scheinen sehr selten zu sein.
    Es gibt zu wenig Kontrollmechanismen, Mobbingstrukturen können sich entwickeln, gegen die man wenig unternehmen kann, da es ja eine "Fördereinrichtung ist, die vermeintlich nur das beste tut".

  • Was ist an einem Berufsbildungswerk verkehrt?

    Wenn man dort eine Ausbildung gemacht hat, stehen die Chancen schlecht, später einen Job zu bekommen. Es ist allgemein bekannt, dass die Menschen, die dort eine Ausbildung gemacht haben, gewisse Defizite haben. Und solche Leute will sich halt kaum jemand freiwillig ans Bein binden (RW).

  • Ja, das ist ein großes Problem selbst dort, wo die Mitarbeiter engagiert und die Teilnehmer mit der Betreuung und der Qualität der Ausbildung zufrieden sind. Sobald potentielle Arbeitgeber das Logo des BBW auf der Bewerbung sehen, wird wohl oft schon aussortiert. Insbesondere in Bereichen, in denen es ohnehin viele Bewerber gibt, wie bei Bürokaufleuten. Gegensteuern kann man da mit Förderprogrammen, wo etwa die BBW-Absolventen für die Firma viel günstiger sind als reguläre Berufseinsteiger. Oder mit Projekten wie der "verzahnten Ausbildung", bei der das BBW mit Betrieben kooperiert und die Azubis einen Teil ihrer Ausbildung dort machen. Dann ist die Chance auf Übernahme auf nicht schlecht.

    From my youth upwards my spirit walk'd not with the souls of men. (...)
    My joys, my griefs, my passions, and my powers, made me a stranger.

  • Wenn man dort eine Ausbildung gemacht hat, stehen die Chancen schlecht, später einen Job zu bekommen. Es ist allgemein bekannt, dass die Menschen, die dort eine Ausbildung gemacht haben, gewisse Defizite haben. Und solche Leute will sich halt kaum jemand freiwillig ans Bein binden (RW).

    Ja das verstehe ich, ich denke das es diese Dinger nur gibt, damit Leute die eben diverse Einschränkungen haben, überhaupt sowas wie eine Ausbildung machen können, wozu das auch immer gut sein soll. Vielleicht denken die das irgendwann in der Zukunft die Leute mal in Betriebe kommen die Menschen mit Behinderungen einstellen (Integrationsbetriebe werden scheinbar mehr) dann würden die Leute nicht immer nur in Werkstätten kommen.

    Go bad or go home!

  • Ja, das ist ein großes Problem selbst dort, wo die Mitarbeiter engagiert und die Teilnehmer mit der Betreuung und der Qualität der Ausbildung zufrieden sind. Sobald potentielle Arbeitgeber das Logo des BBW auf der Bewerbung sehen, wird wohl oft schon aussortiert. Insbesondere in Bereichen, in denen es ohnehin viele Bewerber gibt, wie bei Bürokaufleuten. Gegensteuern kann man da mit Förderprogrammen, wo etwa die BBW-Absolventen für die Firma viel günstiger sind als reguläre Berufseinsteiger. Oder mit Projekten wie der "verzahnten Ausbildung", bei der das BBW mit Betrieben kooperiert und die Azubis einen Teil ihrer Ausbildung dort machen. Dann ist die Chance auf Übernahme auf nicht schlecht.

    Auch eine "verzahnte Ausbildung" ist immer noch eine Ausbildung in einem BBW. Es wäre wesentlich sinnvoller die engagierten Mitarbeiter dafür einzusetzen Hilfen in einer regulären Ausbildung auf dem 1. Arbeitsmarkt zu geben. Es gibt zu viele BBWs und die Mitarbeiter(Betreuer, Pädagogen) haben sich mit ihrer Rolle dort eingerichtet und sind nicht daran interessiert ihren Job zu verlieren, was vielleicht verständlich ist. Nützt aber den Jugendlichen wenig. Es wird auch versucht das Problem zu verharmlosen oder zu verleugnen, dass die meisten Arbeitgeber keine Absolventen aus dem BBW einstellen wollen.
    Die Kette "Förderkindergarten-Förderschule-BBW-Behindertenwerkstatt-betreutes Wohnen-dann später betreutes Wohnen im Alter" oft alles auf dem gleichen Gelände wird generell von Außen zu wenig in Frage gestellt.

  • Also ich war dort zu einem Kontaktgespräch und war nicht begeistert. Der Standort ist nicht sehr Autistenkompatibel, sehr laute, verkehrsreiche Umgebung mit engnen Straßen, Hinterhof, Seitenflügel, ich bin froh da nicht täglich hinzumüssen. Das mir vorgestellte Konzept war sehr einseitig auf die Vermittlung von Neu- und Quereinsteigern und den ersten Arbeitsmarkt orientiert, zuwenig individuelle Anpassungen, zuviel Gruppenveranstaltungen und alles in Vollzeit. M.E. ist das eher was für Berufseinsteiger, Aspies in meiner Situation (spätdiagnostiziert, Ü50) sind dort m.E. eher fehl am Platz.

  • Gibt es eigentlich auch betreutes studieren oder sind diese paralellstrukturen nur auf Ausbildungen ausgelegt?

    Ich glaube, so richtig betreutes Studieren gibt es nicht (als Einrichtung), aber man kann eine Assistenzkraft beantragen über die Eingliederungshilfe beim Sozialamt. Wobei man die Assistenzkraft selber finden muss, beantragen kann man nur die Kostenübernahme dafür. Das wäre z.B. nützlich, wenn man Hilfe bei der Orientierung oder beim Oganisieren usw. bräuchte.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

  • Gibt es eigentlich auch betreutes studieren oder sind diese paralellstrukturen nur auf Ausbildungen ausgelegt?

    Leider gibt es das bisher nur bezogen auf Ausbildungen und Umschulungen. Was das Thema Studium betrifft, muss man individueller organisieren, über Nachteilsausgleich etc. Es gibt auch die Möglichkeit einer Studienbegleitung oder Studienassistenz, analog zur Schulbegleitung, was aber wohl auch nicht immer so einfach zu beantragen ist.

    Persönlich würde ich gesonderte Hochschulen und Universitäten für Behinderte eher skeptisch sehen. Aber ich fände individuellere Hochschulzugänge und alternative Abschlüsse sinnvoll. Das jetzige Bachelor/Master-System passt nicht für alle, weil es sehr verschult ist und oft sehr auf Gruppenarbeit setzt. Da würden vielfältigere, angepasste Formate das Studium für viele barriereärmer machen.

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  • Also ich war dort zu einem Kontaktgespräch und war nicht begeistert. Der Standort ist nicht sehr Autistenkompatibel, sehr laute, verkehrsreiche Umgebung mit engnen Straßen, Hinterhof, Seitenflügel, ich bin froh da nicht täglich hinzumüssen. Das mir vorgestellte Konzept war sehr einseitig auf die Vermittlung von Neu- und Quereinsteigern und den ersten Arbeitsmarkt orientiert, zuwenig individuelle Anpassungen, zuviel Gruppenveranstaltungen und alles in Vollzeit. M.E. ist das eher was für Berufseinsteiger, Aspies in meiner Situation (spätdiagnostiziert, Ü50) sind dort m.E. eher fehl am Platz.

    Warst du bei Diversicon? Ich hatte mal telefonischen Kontakt wegen meines Sohnes. Das Konzept finde ich sehr gut. Leider zu weit von unserem Wohnort entfernt. Das Konzept ist noch sehr neu, ich denke sie passen es schon individuell an die Teilnehmer an falls gewünscht. Aber sie nehmen auch nicht jeden, so wie ich es verstanden habe?

  • Ich glaube, so richtig betreutes Studieren gibt es nicht (als Einrichtung), aber man kann eine Assistenzkraft beantragen über die Eingliederungshilfe beim Sozialamt. Wobei man die Assistenzkraft selber finden muss, beantragen kann man nur die Kostenübernahme dafür. Das wäre z.B. nützlich, wenn man Hilfe bei der Orientierung oder beim Oganisieren usw. bräuchte.

    Das überrascht mich jetzt nicht, finde ich aber spannend. Also man kann sich ja fragen, wieso das ist. Wenn man davon ausgeht, dass die Betroffenen nicht immer geistig eingeschränkt sind (was ja eben nicht der Fall ist, also das sind ja nicht nur geistig Eingeschränkte), wieso werden sie dann insofern vom Studium ferngehalten, dass es dafür keine Einrichtung gibt? Liegt es am Aufwand oder das dies eben dann doch nicht für alle zutreffen würde, also eine Frage der Quantität. Oder traut man das den Menschen nicht zu? Denn Leistungsfähigkeit bzw. Arbeitsfähigkeit hängt ja auch stark davon ab, was man tut. Also ich kann nur von mir sprechen, aber ich wäre in vielen gerade Berufen, insbesondere die die ein Handwerk umfassen so gar nicht arbeitsfähig. Ich bin meiner Meinung nach nur arbeitsfähig, weil ich was geistiges mache, wozu auch stark die Arbeitsbedingungen gehören. Wenn ich dauernd liefern müsste und überprüft werden würde, feste Arbeitszeiten hätte etc. ginge das so gar nicht. Also würde ich da die typischen Berufzweige durchlaufen bei so Einrichtungen befürchte ich, ich wäre nicht wirklich arbeitsfähig.

  • Die Vorstellung, dass ein Mensch behindert sein und zugleich anspruchsvolle geistige Arbeit machen kann, war in Deutschland lange nicht "in den Köpfen" der Menschen. Insbesondere, wenn es um angeborene oder bereits im Jugendalter bestehende Behinderungen ging. Ich bin sicher, da spielen noch sozialdarwinistische Vorstellungen mit rein, selbst heute. Vor einiger Zeit las ich, dass in ländlichen Gegenden selbst angeborene Klumpfüße noch stark stigmatisiert sind, es teilweise sogar noch abergläubische Vorstellungen dazu gibt. Auch die Eltern der Contergan-Geschädigten mussten Abitur und Studium für ihre Kinder gegen große Widerstände erkämpfen. Geschafft haben das meistens nur die, die selbst bereits privilegierte, gut vernetzte Akademiker waren, wie Ärzte oder Juristen. Auch heute gibt es noch die Vorstellung, dass Menschen mit Beeinträchtigungen nicht an die Uni gehören. Bei Körper- und Sinnesbehinderungen werden sie das meistens nicht offen kommunizieren, bei psychiatrischen Diagnosen dagegen oft durchaus noch. Und Autisten wird auch von Fachleuten häufig empfohlen, eher eine Ausbildung zu machen.

    Ich selber wäre in den meisten "normalen" Berufen auch niemals arbeitsfähig gewesen, vor allem in denen nicht, wo es auf Tempo sowie praktische, motorische und sozial-kommunikative Fähigkeiten ankommt. Da fällt schon das meiste weg.

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  • Persönlich würde ich gesonderte Hochschulen und Universitäten für Behinderte eher skeptisch sehen. Aber ich fände individuellere Hochschulzugänge und alternative Abschlüsse sinnvoll. Das jetzige Bachelor/Master-System passt nicht für alle, weil es sehr verschult ist und oft sehr auf Gruppenarbeit setzt. Da würden vielfältigere, angepasste Formate das Studium für viele barriereärmer machen.

    Ich sehe das auch eher skeptisch wenn es gesonderte Hochschulen gäbe.

  • Auch heute gibt es noch die Vorstellung, dass Menschen mit Beeinträchtigungen nicht an die Uni gehören. Bei Körper- und Sinnesbehinderungen werden sie das meistens nicht offen kommunizieren, bei psychiatrischen Diagnosen dagegen oft durchaus noch.

    Das wundert mich jetzt aber, dass du das sagst, denn du hast doch studiert und kennst die ganzen Hilfsangebote an den Unis, und weißt, wie groß der Anteil an psychisch labilen/kranken Studenten ist. Das ist an Unis ja nicht unbekannt, daher hätte ich jetzt gedacht, dass deine Aussage zu diesem Thema gar nicht mehr realistisch ist. Früher irgendwann mal war schon die Ansicht, dass die Unis nur für die Besten sind, und da hatte niemand Behinderte auf dem Schirm.
    Aber heute studieren doch bereits viele sowohl körperlich als auch psychisch eingeschränkte Menschen. Das ist an Unis ja nicht mehr ungewöhnlich. Man darf nicht anfangen, sich da noch selbst Barrieren im eigenen Kopf aufzubauen, finde ich.

    Die Eingliederungshilfe/Hochschulhilfe gibt es auch schon lange. Nur Autisten haben insofern eine Sonderrolle, als dass früher diejenigen, die so intelligent waren, studieren zu können, meist nicht diagnostiziert waren. Inzwischen gibt es mehr diagnostizierte Autisten, die geistig in der Lage sind zu studieren, daher stellt sich erst jetzt die Frage, wie man diese Personengruppe an einer Uni unterstützen kann. Früher haben sie es eben geschafft, oder nicht, je nachdem. Die Behinderung war ja nicht bekannt.

    Wenn man davon ausgeht, dass die Betroffenen nicht immer geistig eingeschränkt sind (was ja eben nicht der Fall ist, also das sind ja nicht nur geistig Eingeschränkte), wieso werden sie dann insofern vom Studium ferngehalten, dass es dafür keine Einrichtung gibt?

    Also wer studieren kann, ist definitiv geistig nicht eingeschränkt, und wer geistig eingeschränkt ist, ist schlicht nicht in der Lage zu studieren. Es wird doch niemand ferngehalten.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

    Einmal editiert, zuletzt von Shenya (21. November 2019 um 15:51)

  • Also wer studieren kann, ist definitiv geistig nicht eingeschränkt, und wer geistig eingeschränkt ist, ist schlicht nicht in der Lage zu studieren. Es wird doch niemand ferngehalten.

    Mit dem Argument braucht es aber auch kein Berufsbildungswerk, da kann man ja auch argumentieren, wer das zeug dazu hat, kann auch unter normalen Umständen eine Ausbildung machen und wer nicht, hat es einfach nicht drauf.
    Also man kann sich ja schon fragen, wieso gibt es bei Ausbildungen und Jobs, die als eher geistig ansporuchslos gelten Hilfe in institutionalisierter Form und bei Unis nicht. Wenn man sagt, Niemand braucht Hilfe und muss es alleine schaffen, okay.

  • Wenn man sagt, Niemand braucht Hilfe und muss es alleine schaffen, okay.

    Das sagt ja keiner. Es gibt ja Hilfen.
    Aber es ist ja auch so: jemand, der studiert, wird in aller Regel später auch mal eine höherwertige Tätigkeit mit Verantwortung übernehmen. Da will ein Arbeitgeber, der so eine Kraft sucht, vielleicht keinen, der von der Behinderten-Uni kommt. Besser ist es, wenn man einen normalen Uni-Abschluss nachweisen kann, und wenn man dafür eine Assistenzkraft in Anspruch genommen hat, muss das bei einer Bewerbung niemand erfahren.

    Historisch gesehen waren die schrecklichsten Dinge wie Krieg, Genozid oder Sklaverei nicht das Ergebnis von Ungehorsam, sondern von Gehorsam.
    (Howard Zinn)

    Einmal editiert, zuletzt von Shenya (21. November 2019 um 15:58)

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